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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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Schritte gehen, bis zu einem kleinen Beisel, irgendwohin, wo es laut ist, wo gegessen und getrunken wird, damit ich mir die Welt noch einmal vorstellen kann. Zum Alten Heller.
    Malina: Verfüg über mich.
    Ich: (forte) Ich werde noch über dich verfügen. Auch über dich.
    Malina: Meine Liebe, wir wollen es abwarten!
    Ich: Es wird nämlich so enden, daß ich über alles verfügen kann.
    Malina: Das ist Größenwahn. So kommst du nur von einem Wahn in einen anderen Wahn.
    Ich: (senza licenza) Nein. Wirken ist Nichtwirken, falls es weitergeht, wie du es mir zeigst. Es ist dann nicht mehr der größer werdende Wahn, es ist ein abnehmender Wahn.
    Malina: Nein. Du nimmst insgesamt zu, und wenndu zu erwägen aufhörtest, wenn du dich nicht mehr wiegst, dann könntest du noch mehr zunehmen, immer mehr und mehr.
    Ich: (tempo) Woran zunehmen, wenn keine Kraft mehr da ist?
    Malina: Man nimmt an Schrecken zu.
    Ich: Ich erschrecke dich also.
    Malina: Mich nicht, aber dich schon. Die Wahrheit erzeugt diesen Schrecken. Aber du wirst dir zusehen können. Du wirst kaum beteiligt sein, nicht mehr hier.
    Ich: (abbandonandosi) Warum nicht hier? Nein, ich verstehe dich nicht! Aber dann verstehe ich gar nichts mehr ... Ich müßte mich ja selber beseitigen!
    Malina: Weil du dir nur nützen kannst, indem du dir schadest. Das ist der Anfang und das Ende aller Kämpfe. Du hast dir jetzt genug geschadet. Es wird dir sehr nützen. Aber nicht dir, wie du denkst.
    Ich: (tutto il clavicembalo) Ach! Ich bin eine Andere, du willst sagen, ich werde noch eine ganz Andere sein!
    Malina: Nein. Wie unsinnig. Du bist ganz gewiß du, das änderst du auch nicht mehr. Aber ein Ich ist ergriffen, und ein Ich handelt. Du aber wirst nicht mehr handeln.
    Ich: (diminuendo) Ich habe doch nie gern gehandelt.
    Malina: Aber gehandelt hast du. Und hast mit dir handeln und dich behandeln lassen, auch über dich verhandeln lassen.
    Ich: (non troppo vivo) Auch das wollte ich nie. Nicht einmal gegen meine Feinde habe ich gehandelt.
    Malina: Nie hat dich einer deiner Feinde gesehen, das darfst du nicht vergessen, und nie hast du einen von ihnen gesehen.
    Ich: Das glaube ich nicht. (vivacissimamente) Ich habe einen gesehen, er hat auch mich gesehen, aber noch immer nicht richtig.
    Malina: Was für eine seltsame Bemühung! Sogar richtig willst du gesehen werden? Vielleicht auch von deinen Freunden?
    Ich: (presto, agitato) Hör auf, wer hat je daran geglaubt, man hat keine Freunde, vorübergehend vielleicht, im Augenblick ja! (con fuoco) Aber man hat Feinde.
    Malina: Vielleicht nicht einmal das ... nicht einmal das.
    Ich: (tempo) Doch, ich weiß es.
    Malina: Es schließt ja nicht aus, daß du den Feind vor Augen hast.
    Ich: Dann müßtest du es sein. Aber du bist es nicht.
    Malina: Du sollst nicht mehr kämpfen. Wogegen kämpfen? Du sollst jetzt weder vor- noch zurückgehen, sondern lernen, anders zu kämpfen. Es ist die einzige Art des Kampfes, die dir erlaubt ist.
    Ich: Aber ich weiß doch schon wie. Ich werde endlich zurückschlagen, denn ich gewinne an Boden. Ich habe viel Boden gewonnen in diesen Jahren.
    Malina: Und das macht dich froh?
    Ich: (con sordina) Wie bitte?
    Malina: Was für eine anmutige Art, immer auszuweichen in Fragen! Du mußt auf der Stelle bleiben. Es muß deine Stelle sein. Du sollst nicht vordringen und nicht zurückgehen. Dann wirst du, auf dieser Stelle, auf der einzigen, auf die du gehörst, siegen.
    Ich: (con brio) Siegen! Wer spricht denn hier noch von siegen, wenn das Zeichen verloren ist, in dem man siegen könnte.
    Malina: Es heißt immer noch: siegen. Es wird dir ohne einen einzigen Kunstgriff gelingen und ohne Gewalt. Du wirst aber auch nicht mit deinem Ich siegen, sondern –
    Ich: (allegro) Sondern – siehst du?
    Malina: Du wirst es nicht mit deinem Ich tun.
    Ich: (forte) Was ist an meinem Ich schlechter als an anderen?
    Malina: Nichts. Alles. Denn du kannst nur Vergebliches tun. Das ist das Unverzeihliche.
    Ich: (piano) Auch wenn es das Unverzeihliche ist, will ich mich immer verzetteln, verirren, verlieren.
    Malina: Was du willst, zählt nicht mehr. An der richtigen Stelle hast du nichts mehr zu wollen. Du wirst dort so sehr du sein, daß du dein Ich aufgeben kannst. Es wird die erste Stelle sein, auf der die Welt von jemand geheilt ist.
    Ich: Muß ich damit anfangen?
    Malina: Du hast mit allem angefangen, darum mußt du auch damit anfangen. Und du wirst mit allem aufhören.
    Ich: (pensieroso) Ich?
    Malina: Du magst es noch immer in

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