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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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dachten, ich hätte das Rigorosum nicht bestanden, ich habe es auch nur in gewisser Hinsicht bestanden, dann schoben sie mir einen Kaffee hin, und ich sagte, in ihre bestürzten Gesichter hinein, es sei ganz einfach gewesen, kinderleicht. Sie fragten mich noch eine Weile, dann glaubten sie es endlich, ich dachte an die Glut, an den möglichen Brand, aber ich erinnre mich nicht, erinnre mich nicht genau ... Gefeiert haben wir sicher nicht. Kurze Zeit später mußte ich zwei Finger auf einen Stab legen und ein lateinisches Wort sagen. Ich hatte ein von Lily geliehenes, zu kurzes schwarzes Kleid an, im Auditorium Maximum standen aufgereiht einige junge Männer und ich, damals habe ich einmal meine Stimme fest und laut gehört, die anderen Stimmen hörte man kaum. Ich aber war nicht erschrocken über mich, und später sprach ich wieder leise.

    Ich: (lamentandosi) Was habe ich nun erlernt, erfahren, in all diesen Jahren, unter so vielen Opfern, und denk an die Mühe, die ich mir gegeben habe!
    Malina: Nichts natürlich. Du hast erlernt, was schon in dir war, was du schon gewußt hast. Ist dir das zuwenig?
    Ich: Vielleicht hast du recht. Ich denke jetzt manchmal, daß ich mich einfach zurückbekomme, so wie ich einmal war. Ich denke zu gern an die Zeit, in der ich alles gehabt habe, in der die Heiterkeit die richtige Heiterkeit war, in der ich ernst war von der guten Art des Ernstes. (quasi glissando) Dann ist alles lädiert, beschädigt, gebraucht, benutzt und schließlich zerstört worden. (moderato) Langsam habe ich mich gebessert, ich habe ergänzt, was immer mehr fehlte, und ich komme mir geheilt vor. Nun bin ich also beinahe wieder, wie ich gewesen bin. (sotto voce) Aber wozu war der Weg gut?
    Malina: Der Weg ist zu nichts gut, er ist da für jeden, es muß ihn aber nicht jeder gehen. Man sollte aber eines Tages hin- und herwechseln können, zwischen dem wiedergefundenen Ich und einem künftigen, das nicht mehr das alte Ich sein kann. OhneAnstrengung, ohne Krankheit, ohne Bedauern.
    Ich: (tempo giusto) Ich bedaure mich nicht mehr.
    Malina: Das zumindest habe ich erwartet, es ist schon ein sicheres Ergebnis. Wer hätte Lust, über dich, über unsereins, zu weinen?
    Ich: Aber weinen über die anderen, warum tut man denn das?
    Malina: Es müßte auch das noch aufhören, denn die anderen verdienen es so wenig, daß man über sie weint, wie du es verdienst, daß ich über dich weine. Was hätte es dir genützt, wenn damals jemand in Timbuktu oder in Adelaide geweint hätte über ein Kind in Klagenfurt, das verschüttet worden ist, das unter den Bäumen vor der Seepromenade auf dem Boden gelegen ist, bei einem Tieffliegerangriff, und dann die ersten Toten und Verletzten sehen mußte um sich. Wein also nicht über andere, die haben genug zu tun, sich ihrer Haut zu wehren oder mit den Stunden vor ihrer Ermordung fertig zu werden. Sie brauchen nicht Tränen made in Austria. Außerdem weint man später, mitten im Frieden, so nanntest du doch einmal diese Zeit, in einem bequemen Sessel, wenn die Schüsse nicht fallen und wenn es nicht brennt. Man hungert auch zu einer anderen Zeit, auf der Straße, zwischen den wohlgenährten Passanten. Im Kino, während einer dummen Vorführung von Schrecken, fürchtet man sich erst. Man friert nicht im Winter, sondern an einem Sommertag am Meer. Wo war es? Wann hat dich am meisten gefroren? Es war doch an einem schönen, selten warmen Oktobertag am Meer. Du kannst also ruhig bleiben für die anderen oder immerzu unruhig sein. Du änderst nichts.
    Ich: (più mosso) Wenn man aber nichts tun könnte, nichts vermitteln kann, was ist dann trotzdem zu tun? Denn es wäre unmenschlich, so gar nichts zu tun.
    Malina: Ruhe in die Unruhe bringen. Unruhe in die Ruhe.
    Ich: (dolente, molto mosso) Wann wird bloß die Zeit kommen, in der ich es erreichen kann, in der ich tun und nichts mehr tun kann, zur selben Zeit? Wann wird die Zeit kommen, in der ich die Zeit dazu finde! Wann wird es Zeit sein, nicht mehr falsch zu unterscheiden, nicht mehr falsch zu fürchten und zu leiden, sich sinnlos hineinzudenken, immer sinnlos nachzudenken! (una corda) Ich will mich langsam herausdenken. (tutte le corde) Ist es so?
    Malina: Wenn du es willst.
    Ich: Soll ich dich nicht mehr fragen?
    Malina: Auch das ist noch eine Frage.
    Ich: (tempo giusto) Geh du noch arbeiten bis zum Abendessen, ich rufe dich dann. Nein, ich koche nicht, warum sollte ich damit meine Zeit verlieren. Ich möchte ausgehen, das ist es, ein paar

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