Malina
telefonieren sollten. Ivan widerspricht nicht, er sagt nicht, du bist wahnsinnig, wie redest du denn, was heißt denn gelegentlich. Er findet es schon natürlich, daß wir gelegentlich miteinander telefonieren werden. Wenn ich nicht sofort aussteige, aber ich steige schon aus, wird er zustimmen, aber ich schlage jetzt die Tür zu und rufe: Ich habe in diesen Tagen besonders viel zu tun!
Ich schlafe nie mehr, nur noch am späten Morgen. Wer möchte schlafen in einem Nachtwald voller Fragen? Ich liege wach in der Nacht da und denke, die Hände hinter dem Kopf verschlungen, wie glücklich war ich, glücklich, und ich habe mir doch versprochen, ich will nie mehr klagen, niemand anklagen, wenn ich nur ein einziges Mal habe glücklich sein dürfen. Aber jetzt will ich dieses Glück verlängern, ich will es wie jeder, dem es widerfahren ist, dieses sich verabschiedende Glück, das seine Zeit gehabt hat. Ich bin nicht mehr glücklich. Es istdes Geistes schönes Morgen, das niemals kommt ... Nur war es keinesfalls mein Morgen, es war das schöne Heute meines Geists, meiner Erwartung zwischen sechs und sieben Uhr nach dem Büro, meiner Erwartung bis nach Mitternacht vor einem Telefon, und Heute darf nicht vorbei sein. Es darf nicht wahr sein.
Malina sieht herein zu mir. Du bist noch wach?
Ich bin zufällig wach, ich muß über etwas nachdenken, es ist furchtbar.
Malina sagt: So, und warum ist es furchtbar?
Ich: (con fuoco) Es ist furchtbar, es ist die Furchtbarkeit noch gar nicht enthalten in einem Wort, es ist zu furchtbar.
Malina: Ist das alles, was dich wachhält? (Töte ihn! töte ihn!)
Ich: (sotto voce) Ja, es ist alles.
Malina: Und was wirst du tun?
Ich: (forte, forte, fortissimo) Nichts.
Am frühen Morgen bin ich im Schaukelstuhl zusammengesunken, ich starre die Wand an, die einen Sprung bekommen hat, es muß ein alter Sprungsein, der sich jetzt leicht weitet, weil ich ihn immerzu anstarre. Es ist so spät, daß ich schon gelegentlich anrufen könnte, und ich hebe das Telefon ab und will sagen, schläfst du schon? aber mir fällt noch rechtzeitig ein, daß ich fragen müßte, bist du schon wach? Aber es ist heute zu schwer für mich, guten Morgen zu sagen, und ich lege den Hörer leise nieder, ich habe so deutlich den Geruch in meinem ganzen Gesicht, daß ich meine, jetzt in Ivans Achsel vergraben zu sein, in den Geruch, der für mich der Zimtgeruch heißt und der mich schläfrig noch wach gehalten hat, weil es der einzige, unerläßliche Geruch zum Aufatmen war. Die Wand gibt nicht nach, sie will nicht nachgeben, aber ich werde es erzwingen, daß die Wand sich öffnet, wo dieser Sprung ist. Wenn Ivan mich jetzt nicht sofort anruft, wenn er nie mehr anruft, wenn er erst Montag anruft, was mache ich dann? Nicht eine Formel hat die Sonne und die anderen Sterne bewegt, ich allein habe sie, solange Ivan näher war, zu bewegen vermocht, nicht nur für mich, nicht nur für ihn, auch für die anderen, und ich muß erzählen, ich werde erzählen, bald gibt es nichts mehr, was mich in meiner Erinnerung stört. Nur Ivans Geschichte mit mir, da wir keine haben, die wird nie zu erzählen sein, es wird darum nicht 99 mal Liebe geben und keine sensationellen Enthüllungen aus den österreichisch-ungarischen Schlafzimmern.
Ich verstehe Malina nicht, der jetzt seelenruhig frühstückt, bevor er aus dem Haus geht. Wir werden einander nie verstehen, wir sind wie Tag und Nacht, er ist unmenschlich mit seinen Einflüsterungen, seinem Schweigen und mit seinen gelassenen Fragen. Denn wenn Ivan nicht zu mir gehören sollte, wie ich zu ihm gehöre, dann wird er eines Tages existieren in einem gewöhnlichen Leben, und er wird davon gewöhnlich werden, nicht mehr gefeiert werden, aber Ivan will vielleicht nichts anderes als sein einfaches Leben, und ich habe ihm mit meinem stummen Aufschauen, mit meinem offenkundigen Nichtspielenkönnen, mit meinem Einbekennen aus Wortscherben ein Stück Leben schwierig gemacht.
Ivan sagt lachend, aber nur einmal: Ich kann dort nicht atmen, wo du mich hinstellst, bitte nicht so hoch hinauf, trag niemand mehr in die dünne Luft, das rat ich dir, das lern noch für später! Ich habe nicht gesagt: Aber wen soll ich denn nach dir? aber du denkst doch nicht, daß ich nach dir? ich lerne lieber noch alles für dich. Für sonst niemand mehr.
Malina und ich sind eingeladen bei den Gebauers, aber wir reden nicht mehr mit den anderen, die im Salon herumstehen, trinken und in die hitzigen Gespräche gekommen
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