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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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sind, sondern finden uns plötzlich allein in dem Zimmer, in dem der Bechsteinflügel steht, auf dem Barbara übt, wenn wir nicht da sind. Mir fällt ein, was Malina zum erstenmal für mich gespielt hat, ehe wir anfingen, miteinander wirklich zu reden, und ich möchte ihn bitten, es noch einmal für mich zu tun. Aber dann gehe ich selber zum Flügel und fange ungeschickt an, ein paar Töne zusammenzusuchen, im Stehen.

    Malina rührt sich nicht, zumindest tut er, als sähe er sich die Bilder an, ein Porträt von Kokoschka, das Barbaras Großmutter zeigen soll, ein paar Zeichnungen von Swoboda, die zwei kleinen Plastiken von Wantschura, die er längst kennt.

    Malina dreht sich nun doch um, kommt zu mir, drängt mich weg und setzt sich auf den Hocker. Ich stelle mich wieder hinter ihn, wie damals. Er spielt wirklich und spricht halb und singt halb und nur hörbar für mich:

    Wir haben uns schnell verabschiedet und gehen zu Fuß nach Hause und im Dunkeln sogar durch den Stadtpark, in dem die finsteren schwarzen Riesenfalter kreisen und die Akkorde stärker zu hören sind unter dem kranken Mond, es ist wieder der Wein im Park, den man mit Augen trinkt, es ist wieder die Seerose, die als Boot dient, es ist wieder das Heimweh und eine Parodie, eine Gemeinheit und die Serenade vor dem Heimkommen.
    Nach dem langen heißen Bad in der Früh merke ich, daß meine Schränke leer sind, auch im Kasten sind nur noch ein Paar Strumpfhosen zu finden und ein Büstenhalter. Auf einem Kleiderbügel hängt einsam ein Kleid, es ist das Kleid, das Malina mir zuletzt geschenkt hat und das ich nie anziehe, es ist schwarz, mit bunten Querstreifen oben. Im Kasten liegt, in einer Plastikhülle, noch ein anderes schwarzes Kleid, es ist schwarz oben, mit bunten Längsstreifen unten, es ist ein altes Kleid, in dem michIvan zum erstenmal gesehen hat. Ich habe es nie mehr angezogen und aufbewahrt wie eine Reliquie. Was ist nur geschehen in der Wohnung? Was hat Lina mit allen meinen Kleidern und meiner Wäsche gemacht? Soviel war doch nicht in die Wäscherei oder in die Reinigung zu geben. Ich gehe nachdenklich mit dem Kleid in der Hand herum und mich friert. Ehe Malina aus dem Haus geht, sage ich: Bitte, schau doch einen Moment zu mir herein, es ist etwas Unglaubliches geschehen.
    Malina kommt herein, mit einer Schale Tee in der Hand, er muß sich beeilen, er trinkt in kleinen Schlucken den Tee und fragt: Was ist denn? Ich ziehe mir das Kleid vor ihm über den Kopf und atme zu rasch, veratme mich, ich kann kaum mehr reden. Es ist dieses Kleid, es kann nur an diesem Kleid liegen, ich weiß plötzlich, warum ich es nie anziehen konnte. Siehst du denn nicht, mir ist zu heiß in dem Kleid, man zerschmilzt darin, es muß eine zu warme Wolle sein, ist denn kein anderes Kleid mehr hier! Malina sagt: Ich finde, daß es dir gut steht, du siehst gut darin aus, wenn du meine Ansicht wirklich hören willst, es steht dir ungewöhnlich gut.
    Malina hat den Tee ausgetrunken, und ich höre ihn noch herumgehen, die paar üblichen Schritte tun, den Regenmantel, den Schlüssel, ein paar Bücher und Papiere zusammensuchen. Ich gehe zurück ins Bad und schaue in den Spiegel, das Kleid knistertund rötet mir die Haut bis zu den Handgelenken, es ist furchtbar, es ist zu furchtbar, es muß ein höllischer Faden gewebt sein in dieses Kleid. Es ist mein Nessusgewand, ich weiß nicht, was in dieses Kleid gefahren ist. Ich wollte es nie anziehen, ich muß gewußt haben, warum.
    Und wie lange lebe ich schon, mit einem toten Telefon? Darüber tröstet kein neues Kleid. Wenn der Apparat schrillt, ruft, stehe ich manchmal noch auf mit einer unsinnigen Hoffnung, aber dann sage ich: Hallo? mit einer verstellten, tieferen Stimme, weil am anderen Ende immer jemand ist, den ich gerade nicht sprechen will oder kann. Danach lege ich mich hin und möchte gestorben sein. Aber das Telefon läutet heute, das Kleid scheuert meine Haut auf, ich gehe beklommen zum Telefon, verstelle meine Stimme nicht, aber wie gut, daß ich sie nicht verstellt habe, denn das Telefon lebt. Es ist Ivan. Es konnte ja nicht anders kommen, es mußte ja endlich Ivan sein. Nach einem Satz schon hat mich Ivan wieder erhöht, mich aufgehoben, meine Haut besänftigt, ich sage dankbar zu, ich sage ja. Ja, ja habe ich gesagt.
    Für diesen Abend muß ich Malina loswerden, ich rede ihm etwas ein, er hat schließlich Verpflichtungen, er kann nicht immerzu absagen, er hatdem Kurt versprochen, an einem dieser Abende zu

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