Malina
kommen, Kurt wäre heute besonders froh, er möchte ihm seine neuen Zeichnungen zeigen, und Wantschuras kommen zu Kurt, er müsse schon darum unbedingt hingehen, denn wenn Wantschura trinkt, dann wird es so einfach nicht sein, und ohne ihn, Malina, werden dann die alten Streite wieder hervorgeholt. Ich verspreche dafür Malina, an einem dieser Abende zu den Jordans mitzukommen, denn wir können nicht länger absagen, zu Leo Jordan müssen wir zweimal im Jahr. Malina macht keine Schwierigkeiten, er sieht es sofort ein, daß er heute den Abend bei Swoboda zubringen muß. Ich habe ja immer recht. Wenn ich nicht daran dächte, so hätte Malina es einfach vergessen. Er ist richtig froh, daß er mich hat, er geht nicht einmal aus dem Haus ohne einen dankbaren Blick, und ich sage aufs zärtlichste: Verzeih mir das mit dem Kleid, ich habe heute die größte Lust auf das Kleid, es muß mir zumute sein danach! Wie triffst du nur immer das richtige, wie du die Maße nur weißt? ich dank dir tausendmal für das Kleid!
Ich lese in einem Buch, bis es acht Uhr wird. Denn das Essen ist bereit, ich bin geschminkt und gekämmt. ›Es ist umsonst, Gleichgültigkeit in Ansehung solcher Nachforschungen erkünsteln zuwollen, deren Gegenstand der menschlichen Natur nicht gleichgültig sein kann.‹
Danach habe ich mich bei der entschiedenen Bekämpfung, angeborener Ideen festgerannt. Ich grüble auch, weil ich nicht mehr alle Bücher habe, ob der moralische Sinn von Hutcheson ist oder doch von Shaftesbury, aber ich habe keinen Orientierungssinn heute, dafür ein summa cum laude, obwohl ich immer aussehe, als wäre ich durchgefallen. Das Palatale der Sprache. Ich weiß noch die Worte, die rosten, seit vielen Jahren, auf meiner Zunge, und ich weiß die Worte ganz gut, die mir jeden Tag zergehen auf der Zunge oder die ich kaum hinunterschlucken kann, kaum hervorstoßen kann. Es waren auch nicht eigentlich die Dinge, die ich mit der Zeit immer weniger einkaufen oder sehen konnte, es waren die Worte dafür, die ich nicht hören konnte. Zwanzig Deka Kalbfleisch. Wie bringt man das über die Zunge? Nicht daß mir etwas Besonderes an Kälbern liegt. Aber auch: Weintrauben, ein halbes Kilo. Frische Milch. Ein Ledergürtel. Alles aus Leder. Eine Münze, ein Schilling etwa, rollt für mich auch nicht das Problem des Geldverkehrs, einer Entwertung oder der Golddeckung auf, sondern ich habe plötzlich einen Schilling im Mund, leicht, kalt, rund, einen störenden Schilling zum Ausspucken.
Ivan liegt noch immer auf dem Bett, mit einem Ausdruck im Gesicht, den ich noch nie gesehen habe. Er denkt angestrengt nach, er scheint keine Eile zu haben, er hat plötzlich Zeit, hier still liegenzubleiben, und ich beuge mich über ihn, die Arme über der Brust verschränkt, aber dann sinke ich in mich zusammen, damit Ivan sagen kann: Ich muß heute unbedingt mit dir sprechen.
Danach schweigt er wieder. Ich lege mir die Hände aufs Gesicht, damit ich ihn nicht störe, weil er mit mir sprechen muß.
Ivan beginnt: Ich muß mit dir sprechen. Erinnerst du dich? ich habe dir einmal gesagt, ich werde dir aber einiges nicht sagen. Wenn ich aber ... was würdest du, wenn ich?
Wenn du? frage ich. Es ist fast kaum zu hören.
Und wenn du? wiederhole ich.
Ivan sagt: Ich glaube, ich muß es dir jetzt sagen.
Ich frage nicht: Was mußt du mir sagen? Denn er könnte sonst weiterreden. Aber auch wenn ich noch länger schweige, könnte er fragen: Was würdest du dann ...
Weil das Schweigen nicht zu lange dauern darf, schüttle ich den Kopf und lege mich neben ihn, ich streiche ihm sanft über das Gesicht, immerzu, damit er aufhört, angestrengt nachzudenken, und damit er die Worte nicht findet für das Ende.
Heißt es, daß du ... was weißt du?
Ich schüttle wieder den Kopf, es heißt gar nichts, ich weiß auch nichts, und wenn ich es wüßte oder er es mir sagte, es gäbe keine Antwort darauf, nicht hier und nicht jetzt und nicht mehr auf Erden. Solange ich lebe, gibt es keine Antwort darauf. Einmal muß dieses Stilliegen aufhören, ich muß nach einer Zigarette für ihn suchen und nach einer für mich, ich muß beide anzünden, und wir dürfen noch einmal rauchen, denn Ivan muß schließlich gehen. Ich kann nicht mitansehen, wie er es vermeidet, mich anzusehen, ich schaue auf die Wand und suche nach etwas auf der Wand. Es sollte nicht so lange dauern, bis jemand angezogen ist, es könnte ja sein, daß man es nicht überlebt, und während Ivan, vielleicht noch immer
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