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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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der nicht Ivan heißt.
    Längst ehe ich Ivan zum ersten Mal das Wort ›gyerekek!‹ oder ›kuss, gyerekek!‹ rufen hörte, hat Ivan zu mir gesagt: Das wirst du wohl schon verstanden haben. Ich liebe niemand. Die Kinder selbstverständlich ja, aber sonst niemand. Ich nicke, obwohl ich es nicht gewußt habe, und Ivan findet es selbstverständlich, daß auch ich es selbstverständlich finde. JUBILATE . Über einem Abgrund hängend, fällt es mir dennoch ein, wie es anfangen sollte: ESULTATE.
    Aber heute werden wir, weil es der erste warme Tag ist, ins GÄNSEHÄUFEL fahren. Ivan hat einen freien Nachmittag, nur für Ivan gibt es freie Nachmittage, eine freie Stunde, einmal auch einen freien Abend. Was mit meiner Zeit ist, ob ich freie und unfreie Stunden habe, Freiheit und Unfreiheit kenne, darüber wird nie geredet. In Ivans kurzer freier Zeit liegen wir im Gras, auf der Liegewiese in der Badeanstalt GÄNSEHÄUFEL unter einer schwachen Sonne, ich habe mein kleines Taschenschachspiel mitgenommen, und nach einer Stunde voll Stirnrunzeln, Abtauschen, Rochaden, Gardez, mehrmaligen Warnungen ›Schach‹ kommen wir wieder zu einem Patt. Ivan will mich auf ein Eis im italienischen Eissalon einladen, aber es ist keine Zeit mehr, der freie Nachmittag ist schon vorbei und wir müssen zurückrasen in die Stadt. Das Eis werde ich das nächste Mal bekommen. Während wir schnell auf die Stadt zufahren, über die Reichsbrücke und den Praterstern, dreht Ivan das Radio laut auf im Auto, seine Kommentare zu den Manövern der anderen Autofahrer sind trotzdem nicht zu überhören, aber wenn Musik aus dem Radio und das Schnellfahren, das schnelle Abbremsen, Wiederanfahren, ein Gefühl vom großen Abenteuer in mir hervorruft, verändern sich für mich die bekannten Gegenden und Straßen, durch die wir fahren. Ich halte mich mit den Händen fest an den Haltegriffen und so angeklammert würde ich gerne singen im Auto, wenn ich eine Stimme hätte, oder ihm sagen, schneller, noch schneller, ich lasse furchtlos die Haltegriffe los und lege die Arme hinter meinen Kopf zurück, ich strahle den Franz-Josefs-Kai und den Donaukanal und den Schottenring an, denn Ivan macht aus Übermut eine Rundfahrt um die Innere Stadt, ich hoffe, daß wir noch lange über den Ring brauchen, in den wir einbiegen jetzt, wir kommen ins Stocken, zwängen uns durch, haben zur Rechten die Universität, in die ich gegangen bin, aber sie steht nicht mehr da wie damals, nicht mehr bedrückend, und das Burgtheater, das Rathaus und das Parlament sind von einer Musik unterschwemmt, die aus dem Radio kommt, das soll nie aufhören, noch lange dauern, einen Film lang, der noch nie gelaufen ist, aber in dem ich jetzt Wunder über Wunder sehe, weil er den Titel hat MIT IVAN DURCH WIEN FAHREN , weil er den Titel hat GLÜCKLICH, GLÜCKLICH MIT IVAN und GLÜCKLICH IN WIEN, WIEN GLÜCKLICH und diese reißenden Bilderfolgen, die mich schwindlig machen, hören auch nicht auf, wenn scharf gebremst wird, warme Luftschwaden mit dem Benzingestank durch das offene Fenster kommen, GLÜCKLICH, GLÜCKLICH , es heißt glücklich, es muß glücklich heißen, denn die ganze Ringstraße ist untermalt von einer Musik, ich muß lachen, weil wir sprungartig anfahren, weil ich überhaupt keine Angst habe heute und nicht an der nächsten Ampel herausspringen will, weil ich noch stundenlang weiterfahren möchte, leise mitsummend, für mich schon zu hören, aber für Ivan nicht, weil die Musik lauter ist.
    Auprès de ma blonde
    Ich bin
    Was bist du?
    Ich bin
    Was?
    Ich bin glücklich
    Qu’il fait bon
    Sagst du etwas?
    Ich habe nichts gesagt
    Fait bon, fait bon
    Ich sage es dir später
    Was willst du später?
    Ich werde es dir niemals sagen
    Qu’il fait bon
    So sag es doch schon
    Es ist zu laut, ich kann nicht lauter
    Was willst du sagen?
    Ich kann es nicht noch lauter sagen
    Qu’il fait bon dormir
    Sag schon, du mußt es heute sagen
    Qu’il fait bon, fait bon
    Daß ich auferstanden bin
    Weil ich den Winter überlebt
    Weil ich also so glücklich
    Weil ich den Stadtpark schon seh
    Fait bon, fait bon
    Weil Ivan erstanden ist
    Weil Ivan und ich
    Qu’il fait bon dormir!
    Ivan fragt mich in der Nacht: Warum gibt es nur eine Klagemauer, warum hat noch nie jemand eine Freudenmauer gebaut?
    Glücklich. Ich bin glücklich.
    Wenn Ivan es will, baue ich eine Freudenmauer um ganz Wien herum, wo die alten Basteien waren und wo die Ringstraße ist und meinetwegen auch eine Glücksmauer um den häßlichen Gürtel

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