Malina
vor Morgengrauen, aber ihre Hoffnung wurde immer geringer. Auch ihren Rappen hatte man ihr genommen, und sie wußte nicht, wie sie aus dem Heerlager je herausfinden und in ihr Land mit den blauen Hügeln zurückkommen sollte. Schlaflos lag sie in ihrem Zelt.
Tief in der Nacht, da meinte sie, eine Stimme zu hören, die sang und sprach nicht, die raunte und schläferte ein, dann aber sang sie nicht mehr vor Fremden, sondern klang nur noch für sie und in einer Sprache, die sie bestrickte und von der sie kein Wort verstand. Trotzdem wußte sie, daß die Stimme ihr allein galt und nach ihr rief. Die Prinzessin brauchte die Worte nicht zu verstehen. Bezaubert stand sie auf und öffnete ihr Zelt, sie sah den unendlichen dunklen Himmel Asiens, und von dem ersten Stern, den sie erblickte, fiel eine Sternschnuppe herab. Die Stimme, die zu ihr drang, sagte ihr, sie dürfe sich etwas wünschen, und sie wünschte es sich von ganzem Herzen. Vor sich sah sie plötzlich, in einen langen schwarzen Mantel gehüllt, einen Fremden stehen, der nicht zu den roten und blauen Reitern gehörte, er verbarg sein Gesicht in der Nacht, aber obwohl sie ihn nicht sehen konnte, wußte sie, daß er um sie geklagt und für sie voller Hoffnung gesungen hatte, mit einer nie gehörten Stimme, und daß er gekommen war, um sie zu befreien. Er hielt ihren Rappen am Zügel, und sie bewegte leise die Lippen und fragte: wer bist du? wie heißt du, mein Retter? wie soll ich dir danken? Er legte zwei Finger auf seinen Mund, das erriet sie, er hieß sie schweigen, er bedeutete ihr, ihm zu folgen, und schlug seinen schwarzen Mantel um sie, damit niemand sie sehen konnte. Sie waren schwärzer als schwarz in der Nacht, und er führte sie und den Rappen, der leise seine Hufe aufsetzte und nicht wieherte, durch das Lager und ein Stück in die Steppe hinaus. Die Prinzessin hatte noch immer seinen wunderbaren Gesang im Ohr und sie war dieser Stimme verfallen, die sie wiederhören wollte. Sie wollte ihn bitten, mit ihr stromaufwärts zu ziehen, aber er antwortete nicht und übergab ihr die Zügel. Sie war noch immer in der größten Gefahr, und er gab ihr ein Zeichen, zu reiten. Da hatte sie ihr Herz verloren, und sie hatte doch sein Gesicht immer noch nicht gesehen, weil er es verbarg, aber sie gehorchte ihm, weil sie ihm gehorchen mußte. Sie schwang sich auf ihren Rappen, sie sah stumm auf ihn nieder und wollte ihm in ihrer und in seiner Sprache etwas sagen zum Abschied. Sie sagte es mit den Augen. Doch er wandte sich ab und verschwand in der Nacht.
Der Rappe begann zu traben, in Richtung des Flusses, von dem die feuchte Luft ihm eine Kunde gab. Die Prinzessin weinte zum ersten Mal in ihrem Leben, und es fanden die späteren Völkerwanderer einige Flußperlen in dieser Gegend, die sie ihrem ersten König brachten und die in die Heilige Stephanskrone, mit den ältesten Edelsteinen, bis auf den heutigen Tag eingegangen sind.
Als sie das freie Land gewann, ritt sie viele Tage und Nächte lang stromaufwärts, bis sie in eine Gegend kam, wo der Strom sich verlor in unzählige, nach allen Richtungen sich teilende Nebenarme. Sie geriet in einen einzigen Morast, überwachsen von krüppeligen Weidenbüschen. Noch war das Wasser auf seinem normalen Stand, die Büsche bogen und wiegten sich raschelnd im immerwährenden Wind der Ebene, in dem die Weiden sich nie erheben konnten, sondern krüppelig blieben. Sanft schwankten sie wie das Gras, und die Prinzessin hatte die Orientierung verloren. Es war, als wäre alles in Bewegung geraten, Wellen aus Weidengezweig, Wellen aus Gräsern, die Ebene lebte und kein Mensch außer ihr lebte darin. Die Fluten der Donau, erleichtert, dem Zwang der unverrückbaren Ufer entronnen zu sein, nahmen ihren eigenen Lauf, verloren sich im Labyrinth der Kanäle, deren Geäder die aufgeschütteten Inseln durchschnitt in breite Straßen, durch die das Wasser mit Getöse dahinschoß. Lauschend, zwischen den schäumenden Stromschnellen, den Wirbeln und Strudeln, begriff die Prinzessin, daß das Wasser den sandigen Strand unterwusch und Stücke Ufers mit ganzen Weidengruppen verschlang. Inseln versanken, und Inseln schüttete es neu auf, die jeden Tag Gestalt und Größe änderten, und so würde die Ebene leben, wechselvoll, bis zu der Zeit des Hochwassers, wenn unter den steigenden Fluten Weiden und Inseln spurlos verschwinden. Am Himmel war ein rauchiger Fleck, aber nichts war von den blauenden Höhenzügen des Landes der Prinzessin zu sehen. Sie
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