Malina
zerschlagen herumgehe, nicht weiß, ob Ata oder Imi gekauft werden soll, ob sie nur etwas dagegen hat, daß ich nicht genau abrechne und ihre mühevollen Additionen nicht prüfe, oder ob es nicht vielmehr meine Sätze sind, die ich äußere, und ob sie diese Gedanken errät, die ihr das Recht geben, mich zu töten.
Ein Tag wird kommen, an dem die Menschen die Savannen und die Steppen wiederentdecken, hinausströmen werden sie und ihrer Sklaverei ein Ende machen, die Tiere werden unter der hohen Sonne zu den Menschen treten, die frei sind, und sie werden in Eintracht leben, die Riesenschildkröten, die Elefanten, die Wisente, und die Könige des Dschungels und der Wüste werden sich mit den befreiten Menschen vereinbaren, sie werden aus einem Wasser trinken, sie werden die gereinigte Luft atmen, sie werden sich nicht zerfleischen, es wird der Anfang sein, es wird der Anfang sein für das ganze Leben ...
Ich rufe: Zahlen bitte! Herr Karl ruft freudig: Komme gleich! und verschwindet. Ich bin zu ungerecht, ich zerknülle die Papierserviette, auf die ich ein paar Satzfetzen geschrieben habe, das dünne Papier weicht auf im Kaffee, der übergeschwappt ist auf das Tablett. Ich will sofort nach Hause gehen, ich will in die Ungargasse, ich werde Lina verzeihen, Lina wird mir verzeihen. Sie wird mir einen Orangensaft auspressen und einen Kaffee kochen. Es muß nicht das ganze Leben sein. Es ist das ganze Leben.
Am Nachmittag bin ich sicher, ruhig an Nummer 9 vorbeigehen zu können, jedenfalls auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ich bin auch sicher, daß ich einen Augenblick innehalten darf, weil Frau Agnes schon morgens bei Ivan aufräumt und dann zu zwei anderen alleinstehenden Herren weiter muß. Auch das Hausmeisterehepaar von Ivans Haus ist nie auf der Straße zu sehen, es unterhält keinen Nachrichtenaustausch mit Herrn und Frau Breitneraus Nummer 6, nur Frau Agnes sehe ich hie und da vor meiner Haustüre, mit Frau Breitner in vertrauliche Unterhaltungen vertieft. Vor Nummer 9 steht diesmal aber Ivans Wagen, nicht zufällig abgestellt, wie ich im ersten Augenblick meine, denn Ivan kommt jetzt aus dem Haus und geht auf das Auto zu, ich will rasch weitergehen, doch Ivan, mit seinen guten Augen, hat mich schon erblickt, winkt und ruft, ich laufe strahlend hinüber, was macht er nur hier, um diese Zeit, wo ich ihn mir in seinem Büro denke, und dann strahle ich nicht mehr, denn auf dem Vordersitz, auf dem ich nun schon oft gesessen bin, sitzen eng aneinandergedrängt zwei kleine Gestalten, die jetzt die Köpfe recken. Ivan sagt: Das ist Béla, das ist András, grüßt gefälligst! Aber die ›gyerekek‹, wie diese Kinder miteinander heißen, grüßen nicht, sie antworten nicht, weil ich verwirrt frage, ob sie Deutsch können, sie fangen zu lachen an und tuscheln miteinander, kein Wort kann ich verstehen, das sind also Ivans Kinder, die ich immer kennenlernen wollte, von denen ich einiges weiß, etwa daß Béla der ältere ist und schon in die Schule geht, ich spreche verlegen mit Ivan und weiß nicht mehr, was ich vorhatte, wohin ich gehen wollte, ach ja, zur Automag in die obere Ungargasse, weil mein Wagen abgeschmiert wird und vielleicht schon fertig ist, ich verspreche mich immerzu, ich müsse dann vielleicht mit einem Taxi, wenn das Autonicht fertig ist, in den XIX . Bezirk, eine Freundin besuchen, eine kranke Freundin obendrein. Ivan sagt: Das ist beinahe auf meinem Weg, wir können dich doch mitnehmen, wir nehmen dich mit! Ivan hat nicht gesagt: Ich nehme dich mit. Er sagt zu den Kindern auf ungarisch etwas, geht um den Wagen herum, holt sie heraus und macht die hintere Tür auf, er drängt sie auf die hinteren Sitze. Ich weiß nicht, ich möchte jetzt lieber nicht, ich möchte zur Automag gehen oder ein Taxi nehmen. Wie kann ich Ivan aber begreiflich machen, daß es zu plötzlich für mich gekommen ist? Er sagt: So steig doch schon ein! Auf der Fahrt lasse ich Ivan reden, ich schaue manchmal nach hinten, ich muß einen ersten Satz finden, ich bin nicht vorbereitet. Ich werde Béla nicht fragen, in welche Klasse er geht, in welche Schule, ich werde die Kinder nicht fragen, wie es ihnen geht, was sie am liebsten tun, was sie spielen und ob sie vielleicht gerne Eis essen. Es kommt gar nicht in Frage. Die Kinder unterbrechen Ivan alle paar Minuten: Hast du gesehen? schau, ein Fiaker! du, ein Rauchfangkehrer! hast du an die Turnschuhe gedacht? schau, ein Alfa Romeo! du, eine Salzburger Nummer! du, ist das ein
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