Malina
Füßen darin, kommen damit angewackelt, András fällt brüllend um, ich hebe ihn auf und nehme ihn auf den Schoß. Ivan zerrt Béla aus Malinas Schuhen, wir kämpfen uns mit den Kindern ab und halten Ausschau nach der Schokolade, die auch verschwunden ist, es wäre die Rettung, András krampft den Rest in der Hand und verschmiert mir die Bluse damit. Sie werden also an den Mondsee fahren, und ich habe gesagt, ich würde zu den Altenwyls gehen. Siebenmeilenstiefel! schreit Béla, damit komme ich übers ganze Land, wie weit komme ich da? bis nach Buxtehude? Aber Ivan, laß ihm doch die Schuhe, wenn er unbedingt mit den Siebenmeilenstiefeln gehen will, please, do call later, I have to speak to you, den Brief mit derEinladung nach Venedig, den Antwortbrief, das Telegramm mit bezahlter Rückantwort, ich habe noch nichts abgeschickt, es ist nicht so wichtig, Venedig ist nicht wichtig, wir können ja später einmal ... Ivan ist mit Béla ins Bad gegangen, András strampelt und will zuerst herunter von mir, dann küßt er mich plötzlich auf die Nase, ich küsse András auf die Nase, wir reiben unsere Nasen aneinander, ich möchte, daß es nie aufhört, daß András nicht genug bekommt, wie ich nicht genug bekomme vom Nasenreiben, ich möchte, daß es den Mondsee nicht gibt und nicht den Wolfgangsee, aber gesagt ist gesagt, András drängt sich immer fester an mich, und ich halte ihn fest, er muß mir gehören, die Kinder werden mir ganz gehören. Ivan kommt herein und stellt ein paar Stühle zurecht, er sagt: Schluß jetzt, wir haben keine Zeit, wir müssen gehn, ihr habt euch wieder einmal aufgeführt, daß es ein Graus ist! Ivan muß für die Kinder noch ein Gummiboot kaufen, bevor die Geschäfte zumachen. Ich stehe mit allen dreien an der Tür, Ivan hält András an der Hand, Béla tobt schon das Stiegenhaus hinunter. Auf Wiedersehen, Fräulein! Auf Wiedersehen, ihr Mistfratzen! I’ll call you later. Auf Wiedersehen!
Ich trage den Kuchenteller und die Gläser in die Küche, gehe hin und her und weiß nicht, was ich noch tun könnte, ich klaube ein paar Brösel vom Teppich, Lina wird morgen mit dem Staubsauger darübergehen. Ich möchte Ivan nicht mehr ohne die Kinder, ich werde Ivan etwas sagen, wenn er anruft oder ich werde es ihm sagen, vor der Abreise, einmal muß ich doch etwas sagen. Aber ich sage es ihm besser nicht. Ich werde ihm aus St. Wolfgang schreiben, eine Distanz gewinnen, zehn Tage lang überlegen, dann schreiben, kein Wort zuviel. Ich werde die richtigen Worte finden, die Schwarzkunst der Worte vergessen, ich werde schreiben mit meiner Einfalt vor Ivan, wie die Bauernmädchen bei uns auf dem Lande an ihren Liebsten, wie die Königinnen, ohne Scham, an ihren Erwählten. Ich werde ein Gnadengesuch schreiben, wie die Verurteilten, die keine Begnadigung zu erwarten haben.
Lange war ich nicht mehr aus Wien weg, auch im letzten Sommer nicht, weil Ivan in der Stadt bleiben mußte. Behauptet habe ich, das Allerschönste sei der Sommer in Wien und es gebe nichts Dümmeres, als gleichzeitig mit allen anderen aufs Land zu fahren, Ferien vertrüge ich auch nicht, der Wolfgangsee sei mir verleidet, weil ganz Wien dann ja am Wolfgangsee ist, und wenn Malina nach Kärnten fuhr, blieb ich allein zurück in der Wohnung, um mit Ivan ein paarmal an die Alte Donau zum Schwimmen fahren zu können. Doch diesen Sommer hat die Alte Donau keine Reize mehr, am allerschönsten muß es am Mondsee sein und nicht in dem ausgestorbenen Wien, durch das die Touristen ziehen. Es ist so gut wie keine Zeit vergangen. Ivan wird mich zur Bahn bringen am Morgen, denn sie fahren erst gegen Mittag mit dem Auto weg. Fräulein Jellinek kommt am späten Nachmittag vorbei, wir wollen noch etwas erledigen.
Sehr geehrter Herr Hartleben,
ich danke Ihnen für Ihren Brief vom 31. Mai!
Fräulein Jellinek wartet, und ich rauche, sie soll dieses Blatt wieder herausziehen und in den Papierkorb werfen. Ich kann nicht einen Brief von einem 31. Mai beantworten, die Zahl 31 darf überhaupt nicht verwendet und profaniert werden. Was bildet dieser Herr aus München sich ein? wie kann er mich aufmerksam machen auf den 31. Mai? was geht ihn mein 31. Mai an! Ich gehe rasch aus dem Zimmer, Fräulein Jellinek soll nicht merken, daß ich zu weinen anfange, sie soll abheften und ordnen, sie soll diesem Herrn überhaupt keine Antwort geben. Alle Antworten haben Zeit, Zeit bis nach dem Sommer, im Badezimmer fällt es mir wieder ein, ich, in höchster Angst, in
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