Malina
fliegender Eile, werde heute noch einen entscheidenden, flehentlichen Brief, aber selber, schreiben. Fräulein Jellinek soll die Stunden zusammenrechnen, ich habe jetztkeine Zeit, wir wünschen einander einen schönen Sommer. Das Telefon läutet, Fräulein Jellinek soll doch gehen. Nochmals: einen schönen Sommer! schöne Ferien! schöne Grüße unbekannterweise an Herrn Dr. Krawanja! Das Telefon schrillt.
Ich stottere ja nicht, das bildest du dir ein
Aber ich habe dir doch vorgestern gesagt
Das muß ein Irrtum sein, ich wollte sagen
Es tut mir furchtbar leid, den letzten Abend
Nein, ich habe dir doch gesagt, daß ich leider heute
Ich will nicht, daß du immerzu tust, was ich will
Tu ich gar nicht, zum Beispiel geht es absolut nicht
Ich habe es bestimmt gesagt, du hast es nur
Ich bin es doch, die keine Zeit hat heute
Morgen früh bringe ich dich bestimmt
Ich habe es furchtbar eilig, auf morgen, um acht!
Seltsames Zusammentreffen. Wir haben beide heute keine Zeit füreinander, am letzten Abend ist immer soviel zu tun. Ich hätte ja Zeit, meine Koffer sind schon gepackt, Malina ist auswärts zum Essen gegangen, mir zuliebe. Er wird spät heimkommen und auch noch mir zuliebe. Wenn ich bloß wüßte, wo Malina ist. Aber ich will ihn auch nicht sehen, ich kann heute nicht, ich muß nachdenken überseltsame Zusammentreffen. Eines Tages werden wir immer weniger Zeit haben und eines Tages wird es gestern und vorgestern und vor einem Jahr und vor zwei Jahren gewesen sein. Außer gestern wird es auch noch morgen geben, ein Morgen, das ich nicht will, und gestern ... O dieses Gestern, jetzt fällt mir auch ein, wie ich Ivan getroffen habe und daß ich vom ersten Augenblick an und die ganze Zeit ..., und ich bin erschrocken, denn nie wollte ich denken, wie es im Anfang war, nie wie es vor einem Monat war, nie, wie die Zeiten waren, als die Kinder noch fehlten, wie die Zeiten mit Frances und Trollope waren und wie es dann ging mit den Kindern und wie wir zu viert im Prater waren, wie ich gelacht habe, mit András an mich gedrückt, in der Geisterbahn, auch über den Totenkopf. Nie mehr wollte ich wissen, wie der Anfang war, ich bin nicht mehr vor dem Blumengeschäft in der Landstraßer Hauptstraße stehengeblieben, ich habe nicht nach dem Namen gesehen und nach dem Namen gefragt. Aber eines Tages werde ich es wissen wollen und von dem Tag an werde ich zurückbleiben und zurückfallen in ein Gestern. Aber noch ist nicht morgen. Ehe gestern und morgen auftauchen, muß ich sie zum Schweigen bringen in mir. Es ist heute. Ich bin hier und heute.
Ivan hat angerufen, er kann mich doch nicht zum Westbahnhof bringen, denn im letzten Moment ist jetzt etwas dazwischengekommen. Es macht nichts, er wird mir eine Ansichtskarte schreiben, ich kann aber nicht länger zuhören, denn ich muß rasch telefonieren, um ein Taxi zu bekommen. Malina ist schon aus dem Haus und Lina noch nicht da. Aber Lina ist im Kommen, sie findet mich mit den Koffern im Stiegenhaus, wir stemmen die Koffer hinunter, Lina vor allem stemmt und trägt, sie umarmt mich vor dem Taxi: Daß mir gnädige Frau aber gesund wiederkommen, der Herr Doktor möchten sonst nicht zufrieden sein!
Ich renne auf dem Westbahnhof herum, dann hinter einem Gepäckträger her, der meine Koffer bis ans Ende vom Bahnsteig 3 karrt, wir müssen umkehren, weil der richtige Waggon jetzt auf Bahnsteig 5 steht und zwei Züge Richtung Salzburg abfahren zu dieser Stunde. Auf dem Bahnsteig 5 ist der Zug noch länger als der auf Nummer 3, und wir müssen über den Schotter zu den letzten Waggons hinaus. Der Gepäckträger will jetzt bezahlt werden, er findet das einen Skandal und typisch, aber dann hilft er mir doch, weil ich ihm zehn Schilling mehr gegeben habe, ein Skandal bleibt es. Ich wollte, er hätte sich nicht durch zehn Schilling bestechen lassen. Dannhätte ich umkehren müssen, dann wäre ich in einer Stunde zu Hause. Der Zug fährt an, ich kann noch die Tür, die auffliegt und mich hinausziehen will, zuwerfen mit letzter Kraft. Ich bleibe auf meinen Koffern sitzen, bis der Schaffner kommt und mich ins Abteil bringt. Der Zug will auch nicht entgleisen vor Attnang-Puchheim, er hält kurz in Linz, nie war ich in Linz, ich bin immer durchgefahren, Linz an der Donau, ich will nicht weg von den Ufern der Donau.
... sie sah keinen Ausweg mehr aus der befremdlichen Landschaft, die nur aus Weiden, aus Wind und aus Wasser war ... die Weiden zischelten immer mehr, sie lachten, sie schrien
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