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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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Abend vor dem Schlafengehen, und Malina hat mir die schönsten Bücher geschenkt, das verzeiht mein Vater mir nie, und unlesbar sind alle geworden, das hat ja so kommen müssen, es ist keine Ordnung mehr, und ich werde nie wieder wissen, wo der Kürnberger und wo der Lafcadio Hearn gestanden sind. Ich lege mich zwischen die Bücher, ich streichle sie wieder, eines nach dem anderen, im Anfang waren es nur drei, dann fünfzehn gewesen, dann schon über hundert, und im Pyjama lief ich zu dem ersten Regal. Gute Nacht, meine Herren, gute Nacht, Herr Voltaire, gute Nacht, Fürst, wünsche wohl zu ruhen, meine Dichter unbekannt, schöne Träume, Herr Pirandello, meine Verehrung, Herr Proust. Chaire Thukydides! Zum erstenmal sagen die Herren heute gute Nacht zu mir, ich versuche ihnen vom Leib zu bleiben, damit sie keine Blutflecken bekommen. Gute Nacht, sagt Josef K. zu mir.
    Mein Vater will meine Mutter verlassen, er kommt auf einem Planwagen aus Amerika zurück und sitzt da, als Kutscher mit einer Peitsche, die schnalzt, neben ihm sitzt die kleine Melanie, die mit mir in die Schule gegangen ist, herangewachsen. Meine Mutter möchte nicht, daß wir Freundinnen werden, aber Melanie hört nicht auf, sich an mich zu drücken, mit ihrem großen aufgeregten Busen, der meinem Vater gefällt und mich zurückschrecken läßt, sie gebärdet sich, lacht, hat braune Zöpfe, dann wieder langes blondes Haar, sie schmeichelt sich an mich heran, damit ich ihr etwas überlasse, undmeine Mutter rückt immer weiter zurück auf dem Wagen, stumm. Ich lasse mich von Melanie abküssen, aber immer nur eine Wange halte ich ihr hin, ich helfe meiner Mutter beim Aussteigen und habe schon einen Verdacht, denn wir sind alle eingeladen, haben neue Kleider an, sogar mein Vater hat seinen Anzug gewechselt und sich rasiert nach der langen Fahrt, und wir halten unseren Einzug in den Ballsaal aus KRIEG UND FRIEDEN .

    Malina: Steh auf, beweg dich, geh auf und ab mit mir, tief durchatmen, tief.
    Ich: Ich kann nicht, bitte verzeih mir, und ich kann nicht mehr schlafen, wenn das so weitergeht.
    Malina: Warum denkst du immer noch ›Krieg und Frieden‹?
    Ich: Es heißt aber so, weil eines aufs andere folgt, ist es nicht so?
    Malina: Du mußt nicht alles glauben, denk lieber selber nach.
    Ich: Ich?
    Malina: Es gibt nicht Krieg und Frieden.
    Ich: Wie heißt es dann?
    Malina: Krieg.
    Ich: Wie soll ich je Frieden finden. Ich will den Frieden.
    Malina: Es ist Krieg. Du kannst nur diese kurze Pause haben, mehr nicht.
    Ich: Frieden!
    Malina: In dir ist kein Frieden, auch in dir nicht.
    Ich: Sag das nicht, nicht heute. Du bist furchtbar.
    Malina: Es ist Krieg. Und du bist der Krieg. Du selber.
    Ich: Ich nicht.
    Malina: Wir alle sind es, auch du.
    Ich: Dann will ich nicht mehr sein, weil ich den Krieg nicht will, dann schläfre du mich ein, dann sorg für das Ende. Ich will, daß der Krieg ein Ende nimmt. Ich will nicht mehr hassen, ich will, ich will ...
    Malina: Atme tiefer, komm. Es geht schon wieder, siehst du, es geht, ich halte dich ja, komm ans Fenster, ruhiger und tiefer atmen, eine Pause machen, nicht reden jetzt.
    Mein Vater tanzt mit Melanie, es ist der Ballsaal aus KRIEG UND FRIEDEN . Melanie trägt den Ring, den mir mein Vater geschenkt hat, aber er läßt alle Leute weiter glauben, er werde mir einen wertvolleren Ring vererben, nach seinem Tod. Meine Mutter sitzt aufrecht und stumm neben mir, zwei leere Sessel sind neben uns, zwei leere auch an unseremTisch, weil die beiden nicht aufhören zu tanzen. Meine Mutter spricht nicht mehr mit mir. Es holt mich niemand zum Tanz. Malina kommt herein, und die italienische Sängerin singt: Alfin tu giungi, alfin tu giungi! Und ich springe auf und umarme Malina, ich bitte ihn inständig, mit mir zu tanzen, ich lächle erleichtert zu meiner Mutter hin. Malina nimmt meine Hand, wir stehen aneinandergelehnt am Rand der Tanzfläche, damit mein Vater uns sehen kann, und obwohl ich sicher bin, daß wir beide nicht tanzen können, versuchen wir es, es muß uns gelingen, die Täuschung zumindest, wir bleiben immer wieder stehen, als hätten wir genug damit zu tun, einander anzuschauen, nur mit Tanzen hat das nichts zu tun. Ich sage immer leise danke zu Malina: Danke, daß du gekommen bist, ich werde es nie vergessen, oh, danke, danke. Nun möchte Melanie auch mit Malina tanzen, auch mit ihm natürlich, und ich fürchte mich einen Augenblick lang, aber ich höre Malina schon ruhig und kühl sagen: Nein, leider, wir sind im

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