Malka Mai
legte ihren Kopf auf den Arm ihrer Mutter und drückte sich an sie wie früher, als sie noch ein kleines Kind gewesen war.
Hanna lag auf dem Rücken, spürte den warmen Atem ihrer großen Tochter am Hals und schaute durch das offene Fenster an der gegenüberliegenden Wand. Der Himmel war so klar, dass sie ein paar Sterne sehen konnte. Abends, als sie zur Hütte abgestiegen waren, hatte sie nicht auf den Mond geachtet, aber er musste voll sein oder fast voll, denn durch das Fenster fiel fahles Licht in die Kammer, so hell, dass sie, wenn sie den Kopf zur Seite drehte, das Bett sehen konnte, in dem die Bäuerin mit Malka schlief. Die Frau hatte einen Narren an dem Kind gefressen. Kein Wunder, Malka war mit ihren goldblonden Haaren und den großen braunen Augen wirklich auffallend schön. Sogar heute Abend in dieser trostlosen Küche hatte sie, erschöpft und nicht ganz sauber, ausgesehen wie ein Engel. Oder wie eine Prinzessin auf einem Misthaufen.
Minna, fest an ihre Mutter gedrückt, atmete jetzt ruhig und gleichmäßig, sie schlief. Hanna konnte nicht einschlafen, sie war viel zu aufgewühlt. Sie dachte an Chaja, die Tochter des Schochet, mit der Malka oft gespielt hatte. Sie sah das Gesicht des Mädchens vor sich, sommersprossig, umrahmt von roten, krausen Haaren, und sie erinnerte sich daran, wie krank Chaja im letzten Jahr gewesen war, bei der Grippeepidemie. Sie hatte das Mädchen schon fast aufgegeben, hatte schon überlegt, wie sie die Eltern darauf vorbereiten könnte, dass sie ihr einziges Kind verlieren würden, aber der Lebenswille der Kleinen hatte gesiegt, plötzlich war es ihr besser gegangen. Ob ihr Lebenswille ihr auch dort half, wohin die Deutschen sie bringen würden? Chaja war ein spätgeborenes Kind, ihre Eltern waren alt, sie würden keine Flucht wagen. Hanna machte sich Vorwürfe, sie hätte Frau Sawkowicza mit dem Pferd nach Lawoczne schicken können, um die Nachbarn zu fragen, ob sie ihr Chaja mitgeben wollten. Sie hätten es nicht getan, natürlich nicht, aber sie hätte fragen müssen.
Minna schnaufte im Schlaf, drehte sich um und rutschte in die Kuhle zwischen Strohsack und Wand. Hanna konnte endlich ihren Arm zurückziehen und sich ausstrecken. Draußen schrie ein Nachtvogel, irgendwo weit weg heulte ein Hund. Vorsichtig schob sie Minna noch etwas weiter zur Wand, drehte sich auf die Seite und machte die Augen zu. Sie musste schlafen, unbedingt, wer weiß, was der nächste Tag bringen würde. Nur eines war sicher, sie mussten weiter. Sie waren ja noch immer in Polen, am Rand ihres Bezirks. Ihre Hoffnung war Ungarn.
Frau Kowalska weckte Malka . Es war noch früh, im Zimmer war es noch nicht ganz hell geworden. »Wo sind Mama und Minna?«, fragte Malka erschrocken, als sie sich allein mit der Bäuerin in der Kammer fand. »Sie sind schon in der Küche«, sagte die Frau. »Komm, ich helfe dir beim Anziehen.«
Malka ließ es sich gefallen, obwohl ihr schon lange niemand mehr beim Anziehen geholfen hatte. Sie ließ sich auch in den Hof führen, zum Brunnen mit dem Pumpenschwengel, wo ihr die Frau Gesicht, Hände und Füße wusch, bevor sie ihr wieder die Schuhe anzog. Sie fügte sich sogar, als die Frau ihr am Schluss die langen Zöpfe aufflocht. Während sie ihr mit einem grobzinkigen Kamm durch die Haare fuhr, schaute Malka sich um.
Sie standen auf einem ungepflasterten Hof, nur von der Haustür zum Brunnen, um den sich eine große Wasserpfütze gebildet hatte, führte ein Steinweg. Hinter einem niedrigen Stall stieg die Sonne auf, man konnte jetzt schon spüren, dass es wieder ein heißer Tag werden würde. Im Gras neben dem Misthaufen scharrten Hühner und pickten mit ihren gelben Schnäbeln in der Erde. Ein Hahn war nirgendwo zu entdecken, aber es musste einen Hahn geben, Malka erinnerte sich daran, dass sie ihn morgens krähen gehört hatte, doch dann war sie wieder eingeschlafen. Frau Kowalska kämmte vorsichtig, hielt mit der einen Hand dicke Strähnen dicht am Kopf fest, mit der anderen fuhr sie mit dem Kamm durch die wirren Haare. Erst als sie die Zöpfe wieder geflochten hatte, führte sie Malka in die Küche, wo ihre Mutter und Minna am Tisch saßen und dicke Scheiben Schwarzbrot aßen.
Malka sah sofort, dass das Brot mit dunklem Pflaumenmus bestrichen war, und freute sich. Frau Kowalska goss ihr eine Tasse Milch ein und schmierte ein Brot für sie. Dann fischte sie mit einer Gabel die fette Rahmschicht vom Milchtopf und legte sie auf das Pflaumenmus, und als Malka anfing zu
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