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Malka Mai

Malka Mai

Titel: Malka Mai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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leicht. Sie tat es nur, weil ihr klar war, dass sie ab jetzt alles essen mussten, was sie bekamen und wann sie es bekamen. Es war höchste Zeit, dass auch Minna das kapierte, aber im Moment fühlte sie sich zu erschöpft, um sich noch einmal auf einen Streit einzulassen.
    6) koscher (jidd.): Koschere Lebensmittel sind solche, die den jüdischen Speisegesetzen entsprechen. Als unrein und verboten gilt zum Beispiel Schweinefleisch und das Mischen von fleischigen und milchigen Gerichten.
    Minna nahm die Decke, die Frau Kowalska ihnen gegeben hatte, ging ein paar Schritte in den Wald hinein, legte sich auf die Decke und zog einen Zipfel über ihren Kopf. Sie schlief oder tat wenigstens so, als schlafe sie. Malka lief herum, sammelte Steine, Holzstücke und Gras und baute daraus ein Haus und einen Garten, in den sie eine Stoffpuppe setzte, mit Ringelsocken, einer grünen Wollhose und einem weißen Unterhemd. »Woher hast du die Puppe?«, fragte Hanna erstaunt.
    Malka wurde rot. »Das ist Liesel«, sagte sie. »Veronika hat sie mir geliehen.«
    Hanna merkte wohl, dass ihre kleine Tochter nicht die Wahrheit sagte, ihre Stimme klang zu hell, fast schrill, aber sie hatte jetzt nicht die Nerven, sich um eine Puppe zu kümmern. Egal, wo das Ding her war, es war gut, dass die Kleine etwas zum Spielen hatte.
    Hanna schaute über die Felder, hinter denen der Berg weiter anstieg. Auf einer Wiese arbeitete ein Bauer mit einer Sense, ein sehr großer, breitschultriger Mann mit einer Schirmmütze auf dem Kopf. Er kam ihr bekannt vor, sie legte sich die Hand über die Augen, um besser zu sehen, dann stand sie auf. »Nein, du nicht«, fuhr sie Malka an, die sofort aufsprang und sie begleiten wollte. »Du bleibst bei Minna, ich komme gleich wieder.«
    In einem weiten Bogen näherte sie sich dem Bauern. Sie kannte ihn wirklich, sie hatte seinen Vater versorgt, als dieser von einem Pferd getreten worden war. Ein Bruch des Schien-und Wadenbeins, der nicht besonders gut verheilt war, der Alte hinkte seither. Sie ging näher zu dem Mann auf dem Feld und rief leise: »Wlado!«
    Er erkannte sie sofort und freute sich offenbar, sie zu sehen. Ohne lange zu überlegen, sagte sie, dass sie mit ihren Kindern über die ungarische Grenze fliehen wolle. Er nickte nur und stellte keine Fragen, vermutlich wusste er schon von der Aktion der Deutschen.
    Er stellte die Sense ab und schaute zur Sonne. »Bis ganz zur Grenze kann ich Sie nicht bringen, Frau Doktor, ich muss zum Melken zurück sein«, sagte er. »Aber bestimmt schaffen wir es bis zum Forsthaus. Der Förster und seine Frau sind gute Menschen, sie werden Ihnen weiterhelfen.«
    Malka betrachtete den Mann , der Wlado hieß. Er war groß und breit, mit einem freundlichen, von der Sonne verbrannten Gesicht, in dem seine Augen sehr hell aussahen, fast farblos. Sie ließ den Blick zu seiner Brust wandern, zu dem nackten, spitz zulaufenden Dreieck des Hemdausschnittes. Auch bei ihm kräuselten sich dunkle Haare auf der nackten Haut, aber die Haut war braun und die Haare sahen nicht so eklig aus. Er lächelte und sie drehte schnell den Kopf zur Seite, als habe sie etwas getan, was sich nicht gehörte.
    Wlado versteckte seine Sense in einem Gestrüpp mit roten Beeren, von denen Malka wusste, dass sie giftig waren, und führte sie auf einem Umweg durch den Wald, damit die Bauern, die auf den Feldern arbeiteten, sie nicht sahen. Als er merkte, dass Malka das Gehen schwer fiel, bot er an, sie auf den Schultern zu tragen. Er faltete die Hände vor dem Bauch und bückte sich, damit sie aufsteigen konnte. Ihre Mutter nickte zustimmend.
    Erst war es Malka unangenehm, auf den Schultern des fremden Mannes zu sitzen, sie hielt sich an seinem Kopf fest, ihre nackten Beine hingen über seiner Brust. Doch dann fing er leise an zu singen, mit einer schönen, tiefen Stimme, die fremd klang, ungewohnt männlich, und ihre Mutter summte mit. Nur Minna ging ein paar Schritte hinter ihnen, wütend, mit bösem Gesicht. Malka hatte das Gefühl, hoch oben auf einem Turm zu sitzen und auf die Welt hinunterzuschauen. Der Himmel war ihr näher als die Erde, sie verfolgte mit den Augen eine Krähe, die laut krächzend vor ihnen aus einem Baum aufstieg und weiter weg hinter einem anderen Baum wieder verschwand. Die Schritte des Mannes schaukelten sie hin und her, hin und her, holprig und weich zugleich. Sie riss ein gelbes, grün gezacktes Ahornblatt von einem Zweig und legte es auf seine Haare.
    Als sie einen Trampelpfad

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