Malka Mai
essen, setzte sie sich ebenfalls an den Tisch.
Die Mutter trank Gerstenkaffee, Malka erkannte ihn an der Farbe und am Geruch, vor Minna stand eine volle Tasse mit Milch, mit einem bräunlichen Schmutzstreifen unter dem Rand. Malka wusste, dass Minna die Milch nicht anrühren würde. Sie trank ihre Tasse leer und schob sie, als die Bäuerin aufstand, um der Mutter Kaffee nachzugießen, schnell zu Minna hinüber und zog deren volle Tasse zu sich. Die Mutter hatte es gesehen, sie runzelte die Stirn und machte ein strenges Gesicht, aber Minna lächelte dankbar.
»Was haben Sie jetzt vor, Frau Doktor?«, fragte Frau Kowalska.
Die Mutter trank noch einen Schluck Kaffee, dann stellte sie die Tasse ab und sagte zögernd, als überlege sie sich das erst in diesem Augenblick: »Unten im Dorf gibt es einen Bauern, den ich mal behandelt habe. Er wohnt in dem Haus direkt neben dem Friedhof. Ich werde ihn fragen, ob er uns weiterhilft.« Malka fiel auf, wie müde die Mutter aussah, sie war blass und die feinen Striche, die von ihren Nasenflügeln zu den Mundwinkeln führten, sahen auf einmal wie richtige Falten aus.
Frau Kowalska stand auf. »Das ist der alte Anton«, sagte sie, »ein guter Mensch. Ich werde gehen und ihn holen, damit niemand im Dorf Sie sieht. Sie müssen vorsichtig sein, Frau Doktor, Verräter gibt es überall.« Und plötzlich, während sie sich ihr Kopftuch umband, fragte sie, ohne die Mutter anzuschauen: »Wollen Sie das Kind nicht bei mir lassen? Sie ist zu klein für so einen langen Weg. Ich würde gut für sie sorgen.«
Malka erschrak, sie hörte auf zu kauen und starrte ihre Mutter an. Der süße Brei aus Brot, Marmelade und Rahm in ihrem Mund schien zu quellen, füllte ihre Mundhöhle ganz aus, so dass sie anfing zu würgen, und außerdem merkte sie plötzlich, dass das Pflaumenmus ein bisschen angebrannt war, nicht viel, aber spürbar. Doch da schüttelte die Mutter auch schon den Kopf. »Kommt nicht infrage, wir bleiben zusammen. Entweder schaffen wir es gemeinsam oder gar nicht.« Minna nickte und Malka konnte den Brei in ihrem Mund endlich hinunterschlucken.
Die Frau machte ein enttäuschtes Gesicht. »Ich gehe jetzt«, sagte sie, als sie die Tür schon geöffnet hatte. »Sie sollten sich und den Mädchen die Judensterne abmachen. Es braucht doch nicht jeder gleich Bescheid zu wissen.«
Malka hatte keinen Hunger mehr, sie trat ans Fenster und schaute Frau Kowalska nach, wie sie den Hang hinunterlief. Trotz ihrer Beleibtheit bewegte sie sich schnell und geschickt wie eine Bergziege, dann verschwand sie hinter einer Bodenwelle. Malka beobachtete ein paar Vögel, die in großen Bögen über dem Tal kreisten. Nach einer Weile wurde es ihr langweilig, sie ging hinaus auf den Hof. Die Mutter und Minna folgten ihr und setzten sich nebeneinander auf die Bank neben der Haustür, von wo aus man einen großen Teil des Tals überblicken konnte.
Malka schaute erst den Hühnern zu, dann ging sie zu dem niedrigen Stall zwischen Haus und Scheune. Von einem Fenster aus konnte sie zwei dicke, rosafarbene Schweine sehen. Sie liefen in abgeteilten Verschlägen herum und wühlten im Stroh. Ein Schwein hob den Kopf, blinzelte mit seinen winzigen Augen und bewegte den komischen runden Rüssel. Durch das aufgeklappte Fenster drang der Geruch nach frischem Mist in ihre Nase.
Hinter dem Schweinestall, auf einer eingezäunten Wiese, grasten eine Kuh und ein Kälbchen, eine andere Kuh lag direkt vor dem Zaun. Malka riss ein Büschel gelbes Gras ab und lockte das Kalb, aber es wollte nicht kommen, seine Mutter ließ sich nicht stören, sie hob noch nicht einmal den Kopf. Malka stellte sich vor die andere Kuh und schaute in die großen, braunen Augen, die ungerührt auf sie gerichtet waren, ohne dass Malka sich wirklich angeschaut fühlte. Sie schüttelte den Kopf, die Kuh reagierte nicht, auch als Malka anfing herumzuhüpfen, bewegte sie weder den Kopf noch die Augen. Malka fuchtelte mit den Armen, aber für die Kuh war sie Luft.
Die Sonne hatte schon den Wipfel der Birke hinter dem Schweinestall erreicht, als die Bäuerin zurückkam, begleitet von einem alten Mann, der genauso rund war wie sie. Er hatte ein rotes Gesicht und keuchte von dem langen Weg. Unter seiner Schirmmütze quollen dichte, graue Haare hervor, aber am auffallendsten waren seine Augen, blau und rund wie Glasmurmeln. Er begrüßte die Mutter, setzte sich neben sie auf die Bank und wechselte ein paar Worte mit ihr. Minna saß schweigend daneben. Als
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