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Malka Mai

Malka Mai

Titel: Malka Mai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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Malka näher trat, hörte sie, wie ihre Mutter fragte: »Wann?« Er hob den Kopf. »Am besten gleich«, sagte er und stand auf.
    Frau Kowalska packte ihnen einen Kanten Brot und ein Stück Speck in ein Tuch, für unterwegs. Malka sah, wie Minna das Gesicht verzog, aber die Mutter bedankte sich überschwänglich, vor allem, als Frau Kowalska noch eine Pferdedecke und einen dicken, grauen Pullover anbrachte, der nach Mottenkugeln roch. »Die Nächte sind kalt oben in den Bergen«, sagte sie. »Das Kind soll nicht frieren.«
    Beim Abschied bekam sie nasse Augen, als sie Malka umarmte, auf die Wange küsste und ihr schnell und heimlich mit dem Finger ein Kreuz auf die Stirn malte.
    Der murmeläugige runde Mann, den die Mutter Herr Anton nannte, führte sie in einem weiten Bogen um das Dorf herum, erst den Hang hinunter, dann durch das flache Tal und wieder den Hang hinauf. Auf den Wiesen blühten Blumen, blaue, gelbe und weiße. Malka hätte gerne einen Strauß gepflückt, aber die Mutter ließ es nicht zu. »Später«, sagte sie. »Wenn wir erst in Ungarn sind, kannst du auch wieder Blumen pflücken.«
    Es war bereits lange nach dem Mittagläuten, das von der Kirche im Tal zu ihnen aufgestiegen war, als der alte Bauer sagte, er könne nicht mehr weiter hinauf. Hanna hatte es schon die ganze Zeit kommen sehen, ihr war nicht entgangen, dass sein Keuchen lauter und schneller geworden war, und sie hatte voller Sorge beobachtet, wie er sich ein paar Mal ans Herz gegriffen hatte. Angina pectoris, dachte sie, und außerdem ist er nicht mehr der Jüngste, auch für einen gesunden Mann seines Alters wäre ein Aufstieg bei dieser Hitze keine einfache Sache.
    Eigentlich war sie erleichtert, als er von sich aus sagte, dass er es nicht mehr schaffte, denn wie hätte sie ihm, ohne Nitroglycerin, helfen können, wenn er zusammengebrochen wäre, sie hätte ja noch nicht einmal seinen Blutdruck messen können. Er verabschiedete sich, sie bedankte sich bei ihm und empfahl ihm, lieber weniger und öfter zu essen und auf Salz ganz zu verzichten. Dann schaute sie ihm nach, wie er sich mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf an den Abstieg machte, und fühlte sich, trotz ihrer Erleichterung, seltsam verlassen.
    Malka kauerte im Gras, sie hielt einen grün schillernden Käfer auf der Handfläche und versuchte offenbar, ihn mit einem Grashalm zu füttern. Minna saß mit mürrischem Gesicht am Wegrand und machte keine Anstalten aufzustehen. »Ich gehe nicht mit«, sagte sie. »Ich hasse die Berge, ich hasse Ungarn und ich hasse …«
    Hanna ging nicht darauf ein und sagte nur streng: »Hör auf mit dem Theater und komm.«
    »Immer muss alles so passieren, wie du es willst«, fauchte Minna. »Ich will nicht nach Ungarn. Was soll ich in Ungarn?«
    Hanna wurde wütend. »Kannst du dich nicht mal wie ein normaler Mensch benehmen?«, schrie sie.
    »Und du?«, fragte Minna.
    Da beugte sich Hanna vor und gab ihr eine Ohrfeige.
    »Hört doch auf zu streiten«, jammerte Malka. »Immer müsst ihr streiten.«
    Minna hielt sich die Backe und Malka fing an zu weinen. »Ich will auch nicht nach Ungarn«, sagte sie. »Ich will nach Hause.«
    Hanna schüttelte hilflos den Kopf. Endlich stand Minna auf und sie gingen weiter. Minna schwieg gekränkt und vorwurfsvoll und auch Malka sagte kein Wort.
    Der Pfad führte durch dichtes Unterholz zum Waldrand. Vor ihnen lag eine flache Anhöhe mit Feldern, auf einigen arbeiteten Leute. Frau Kowalskas Bemerkung von den Verrätern hatte Hanna klargemacht, dass es besser war, sich vor fremden Menschen zu verstecken und erst im Schutz der Dunkelheit um Hilfe zu bitten. »Kommt, wir ruhen uns hier ein bisschen aus«, sagte sie zu ihren Töchtern. Sie wollte nicht zugeben, wie ratlos und verloren sie sich fühlte.
    Einmal, als Kind, hatte sie sich so gefühlt, als sie im Sommer bei Verwandten auf dem Land gewesen war und sich verirrt hatte. Stundenlang war sie herumgelaufen, bis irgendjemand sie schließlich gefunden und zu ihren Verwandten zurückgebracht hatte.
    »Ich habe Hunger«, sagte Malka. Hanna brach für jede ein Stück Brot ab und wickelte den Speck aus. Malka biss sofort hinein, aber Minna weigerte sich zu essen, schon gar keinen Speck. Auch Hanna widerstrebte es, Speck zu essen. Sie hatte sich längst von den religiösen Grundsätzen ihres Elternhauses entfernt, sie hatte auch ihre Kinder nicht religiös erzogen, ihr Haushalt war nicht koscher 6) , aber direkt in Schweinespeck zu beißen fiel ihr nicht

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