Malka Mai
gerne selbst einen gehabt, Spucke sammelte sich in ihrem Mund, sie meinte fast, den etwas angekohlten Maisgeschmack zu spüren. Doch weil sie kein Geld hatte, lief sie schnell weiter und nahm einen Esel in ihre Sammlung auf.
Der Esel stand am Straßenrand, unter einem Baum, und war vor einen leeren Wagen gespannt, die Zügel waren um einen Pfosten gewickelt. Der Esel stand ruhig da, nur ab und zu bewegte er den Schwanz, um Fliegen von seinem Rücken zu verscheuchen. Malka lehnte sich an den Baum und betrachtete den Esel. Er war graubraun und struppig, mit einem dicken Bauch und einem großen Kopf. Auf der Stirn hatte er einen hellen, gezackten Fleck, der fast wie ein Stern aussah. Vielleicht war es ein jüdischer Esel. Mit seinen braunen Augen schaute er Malka an, ruhig, ernst und unbeweglich, doch als sie vorsichtig die Hand ausstreckte, um ihn zu streicheln, bewegte er die Nüstern, zog die Oberlippe hoch und entblößte seine langen, gelben Zähne. Erschrocken zog sie die Hand zurück.
Das nächste Bild war ein kleiner Garten zwischen zwei Häusern. In dem Garten blühten blaue Astern und unter einem Baum stand eine Bank, ebenfalls blau, auf der ein alter Mann und eine alte Frau saßen. Sie sprachen nicht miteinander, aber sie hielten sich an den Händen. Mit ihren ruhigen, ernsten Gesichtern erinnerten sie Malka an ihre Großeltern in Krakau, die sie lange nicht mehr gesehen hatte, seit Kriegsbeginn nicht mehr. Ihre Großmutter war im Frühjahr gestorben. Als sie das von ihrer Mutter erfuhr, hatte sie nicht geweint, doch jetzt, viele Monate später, war sie auf einmal sehr, sehr traurig, weil sie keine Großmutter mehr hatte.
Sie sammelte viele Bilder, so viele, dass sie genug zu blättern hatte, falls sie wieder einmal in einem so tristen Zimmer wie in der Mühle sitzen müsste. Das letzte war, wie die Sonne hinter den Häusern unterging und das Holz der Dächer und Wände mit einem goldenen Ton überzog.
Doch mit der Dunkelheit kam auch die Kälte. Malka wickelte sich den Pullover vom Bauch und zog ihn über Kleid und Jacke. Die Ärmel waren so lang, dass sie sie mehrmals umschlagen musste. Sie hob einen Arm an die Nase, der Geruch nach Mottenkugeln, der sie an Frau Kowalska erinnerte, war schwächer geworden, aber noch nicht verschwunden.
Mit der Dunkelheit kam auch der Hunger. Auf der Straße waren nicht mehr viele Leute zu sehen, bestimmt waren sie jetzt alle beim Abendessen, denn aus den Häusern drang der Duft nach Suppe, nach Kohl, nach gekochten Kartoffeln und manchmal nach gebratenem Speck. Nun tat es ihr Leid, dass sie ihr Mittagessen nicht aufgegessen hatte, sehr Leid sogar.
Malka wurde immer hungriger und allmählich taten ihr auch die Füße weh. Sie stieß auf einen Platz, in dessen Mitte ein Baum stand, und setzte sich auf den Boden, mit dem Rücken an den Stamm gelehnt. Es waren aber nicht ihre schmerzenden Füße, die sie zum Bleiben veranlassten, sondern die Wirtschaft gegenüber, aus der laute Musik und Gelächter drangen. Vor allem der Geruch nach gebratenem Fleisch. Immer wenn die Tür aufging und jemand herauskam oder hineinging, fiel Licht auf das Trottoir, die Musik und die Stimmen wurden lauter und der Geruch nach Essen stärker.
Schließlich hielt sie es nicht mehr aus, stand auf und ging zur Tür. Als zwei Männer herauskamen, lachend und leicht schwankend, drückte sie sich in die Wirtschaft hinein.
Der Gastraum war groß. Man hatte die Tische zusammengerückt zu einer langen Tafel, die voll beladen war mit Essen. Es gab dampfende Schüsseln, Platten mit Fleisch, mit geschnittenem Brot und mit gefüllten Teigtaschen, dazwischen standen Gläser und Flaschen. Am Tisch saßen Männer in weißen Hemden und Frauen in bunten Kleidern, in der Mitte ein Mann in einem schwarzen Anzug neben einer Frau in einem weißen Kleid und mit einem Blumenkranz in den Haaren. Eine Hochzeit. Die Musik kam von einem Grammophon, das auf einem Tisch in der Ecke stand. Die Leute sprachen Ungarisch, eigentlich schrien sie eher, und ein paar Kinder liefen herum und naschten mal von diesem, mal von jenem.
Malka stand eine ganze Weile an der Tür, ohne dass jemand zu ihr herschaute, auch nicht der Gastwirt, der Gläser voll schenkte. Nicht weit von ihr standen eine Platte mit gebratenen, zerteilten Hühnern und ein Korb mit geschnittenem Weißbrot. Die Hühnerhaut war braun und fettig. Malka überlegte, ob sie nicht einfach ein Stück Brot grapschen und weglaufen könnte, oder, noch besser, eine Teigtasche
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