Malka Mai
Hand ihr Bein berührte und weiter tastete, nach ihrer Hand. Sie wurde nach unten gezogen, zum Boden, und die Frau sagte: »Hier ist noch Platz, hier kannst du dich hinlegen.«
Malka setzte sich, sie war sehr müde. Der Boden aus gestampftem Lehm war kalt und ein bisschen feucht. Sie streckte sich aus, zog aber erschrocken die Beine an sich, als sie gegen jemanden stieß, der etwas auf Ungarisch rief. Sie legte sich auf die Seite, zog ihre Beine ganz dicht an den Bauch und drückte die Stirn auf die Knie. Entsetzen kroch in ihr hoch und machte sie steif.
»Schlaf«, sagte die Frau neben ihr. »Es ist schon spät und Schlafen ist das Beste, was du tun kannst.«
Malka lag da, mit angezogenen Knien, starrte in die Dunkelheit und konnte nicht schlafen. Sie spürte deutlich, dass noch andere Leute im Raum waren, nicht nur die Frau, die Polnisch gesprochen hatte, und der ungarische Mann. Sie hörte Atemzüge, irgendwo rechts von ihr schnarchte jemand, ab und zu stöhnte einer. Es stank nach Kot und Urin. Malka versuchte die Luft anzuhalten, aber es ging nicht. Da legte sie sich den Arm über das Gesicht und atmete tief den Mottenkugelgeruch ein.
Um gegen ihre Verzweiflung und das Entsetzen anzukämpfen, dachte sie an all die Bilder, die sie heute gesammelt hatte. Wo waren jetzt die Katze und ihre beiden Jungen? Waren sie durch die grüne Tür gegangen und lagen nun gemütlich auf einer Ofenbank? Und der Esel, stand der im Stall und fraß Heu und dachte an das Mädchen, das er heute getroffen hatte, oder hatte er sie schon vergessen?
Am nächsten Morgen wachte sie früh aus unruhigem Schlaf auf. Durch ein Fenster oben an der Wand, nur wenige Zentimeter unter der Decke, fiel blasses Licht herein, Schatten tauchten auf, deren Konturen immer klarer hervortraten, je heller es im Keller wurde. Die Schatten verwandelten sich allmählich zu Menschen mit Körpern, mit Gesichtern und Gliedmaßen, die sich bewegten und streckten, mit Händen, die sich über die Augen rieben und durch die Haare fuhren, zu Männern und Frauen. Auch zwei Kinder waren da, zwei Jungen, sie saßen dicht aneinander gedrückt in einer Ecke und erinnerten sie an Schlomo und Jossel, zwei Brüder, die sie aus Lawoczne kannte. Das Gesicht des älteren Jungen war eine blasse, verschattete Scheibe, vom zweiten, der mit dem Kopf an der Schulter des Großen lag, war nur ein Büschel dunkler Haare zu sehen.
Schlomo und sein Bruder Jossel lebten bei ihrem Onkel, dem Schuster Schmielewitsch, der auf der anderen Seite von Lawoczne wohnte, im Judenviertel mit den engen Gassen und den kleinen Holzhäusern, wo sie nur dreimal in der Woche hinkam, wenn sie bei Fräulein Lemberger, ihrer Privatlehrerin, Unterricht hatte. Aber natürlich wusste sie, so wie alle anderen Einwohner von Lawoczne, dass Schlomo und sein Bruder damals, als die Deutschen Polen überfallen hatten, bei Jankel Schmielewitsch zu Besuch gewesen waren.
Sie hatte nie verstanden, aus welchen Gründen die Brüder nicht mehr zu ihren Eltern zurückkehren konnten. Sie selbst war ja damals mit ihrer Mutter von Krakau, wo sie ihre Großeltern und Tante Golda besucht hatten, mit der Eisenbahn nach Lawoczne zurückgefahren, eine Fahrt, an die sie sich noch genau erinnerte, vor allem an die Bombardierung und an den Krach, den die Bomben gemacht hatten.
Schlomo und Jossel waren jedenfalls in Lawoczne geblieben und die Leute tuschelten, Schlomo, der Große, sei unter die Schmuggler gegangen und helfe auf diese Art, die große Familie seines Onkels zu ernähren. Man sagte, er würde Zigaretten aus Ungarn nach Polen schmuggeln und sie teuer verkaufen. Jossel, sein Bruder, war ein paar Jahre jünger als er, ein schmächtiger, dunkler Junge, nicht viel größer als Malka, aber zwei, drei Jahre älter.
Das graue Viereck des Fensters wurde immer heller, Stimmen waren zu hören, einzelne Personen standen auf und gingen in eine Ecke, wo sie, hörbar und vor aller Augen, ihr Bedürfnis in einen Eimer verrichteten, bevor sie sich wieder auf ihren Platz setzten. Allen waren die Hände gefesselt. Ein Mann fluchte laut auf Ukrainisch, die polnische Frau neben ihr, die älter aussah, als Malka es nach dem Klang ihrer Stimme erwartet hatte, fuhr den Mann an, er solle sein dreckiges Maul halten und sich beim Pischen gefälligst umdrehen. Und dann war Malka ganz sicher, dass die beiden Jungen Schlomo und Jossel waren.
Die polnische Frau legte ihre gefesselten Hände auf Malkas Bein und sagte: »Kopf hoch, Kleine, sorge
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