Malka Mai
stand und in den Hof hinunterschaute, kam ihr die Sonne auf einmal dunkler vor, der Himmel nicht mehr so blau und die Hühner gackerten dumm und langweilig.
Später tauchten drei Jungen auf, ein größerer und zwei kleine, und gingen ins Haus. Malka konnte ihre Stimmen hören, ohne zu verstehen, was sie sagten. Gegen Abend, der Hühnerstall warf schon einen Schatten, der bis in die Mitte des Hofs fiel, sammelten alle vier Kinder Eier ein. Malka schaute ihnen zu, wie sie überall herumliefen, Eier anbrachten und sie in Körbe legten, mit Lagen von Heu dazwischen, damit sie nicht zerbrachen.
Dann kam der Mann auf den Hof, diesmal nicht im Kaftan, sondern mit aufgekrempelten Hemdsärmeln und mit einer grauen Lederschürze um den Bauch. In der einen Hand trug er einen Schemel, in der anderen ein Messer. Er stellte den Schemel neben den Brunnen, ging zum Hühnerstall und kam mit einem weißen Huhn wieder heraus. Er hielt es an den Beinen, setzte sich auf den Schemel, quetschte das Huhn mit dem Kopf nach unten zwischen seine Knie und schnitt ihm die Kehle durch. Das Huhn zappelte lange, so lange, bis das ganze Blut aus dem Hals gelaufen war. Dann schnitt der Mann dem Huhn den Bauch auf und nahm die Eingeweide heraus, bevor er es der Frau reichte, die inzwischen aus dem Haus gekommen war. Sie wusch dem Huhn in einem Eimer mit Wasser den Bauch aus, dann legte sie es neben dem Brunnen auf den Boden.
Der Mann holte ein zweites Huhn und Malka verließ das Fenster und setzte sich auf ihr Bett, um das Schlachten nicht sehen zu müssen. Jedes Mal, wenn ein Huhn in Todesangst schrie, hielt sie sich die Ohren zu. Erst abends, im Bett, als die Hühner schon schliefen, hörte sie, dass es irgendwo in der Nähe auch Kühe geben musste.
Am nächsten Morgen wurde sie früh von lauten Rufen geweckt und rannte zum Fenster. Im Dämmerlicht glichen die Menschen unten im Hof grauen Schatten, die sie nur durch ihre verschiedenen Größen unterscheiden konnte. Sie sah, dass Herr Kopolowici und seine Frau die Körbe mit Eiern und zwei Säcke, in denen sich wahrscheinlich die geschlachteten Hühner befanden, auf einen großen Leiterwagen mit einer langen Deichsel luden.
Der ältere Sohn bog um die Ecke des Schuppens, er führte ein dürres Pferd am Zügel. Das Mädchen brachte einen Korb, der mit einem weißen Tuch zugedeckt war, und stellte ihn auf den Leiterwagen, unter das Brett, das als Bock diente. Die beiden kleineren Jungen standen daneben und schauten zu und ab und zu stießen sie sich gegenseitig an und lachten laut, als fänden sie irgendetwas, was Malka von oben nicht sehen konnte, sehr komisch.
Das Pferd wurde eingespannt, der Mann setzte sich vorn auf den Bock des Leiterwagens, knallte mit der Peitsche und fuhr los. Erst danach wurden die Hühner aus dem Stall gelassen. Malka dachte lange darüber nach, ob die Hühner ihre gestern geschlachteten Schwestern vermissten, und bildete sich ein, ihr Gackern höre sich heute anders an, trauriger, leiser, bedrückter.
Sie bekam Frühstück und langweilte sich. Außer den Hühnern gab es nichts zu sehen, nur dass die Sonne höher stieg und weiße Wolken am Himmel vorbeizogen. Eine sah aus wie ein Schiff. Vielleicht segelt es nach Erez-Israel, dachte sie und bedauerte, kein Papier und keine Stifte zu haben, sie hätte das Wunderland gerne gemalt, die Orangen, die dort an Bäumen hingen wie hierzulande Äpfel.
Gegen Mittag, die Sonne stand hoch am Himmel, kam Herr Kopolowici zurück. Der große Junge spannte das Pferd aus, führte es über den Hof und verschwand wieder um die Ecke des Schuppens, während Herr Kopolowici mit seiner Frau sprach. Das Mädchen lud die nun leeren Eierkörbe ab, die Frau trug die schlaff herunterhängenden Säcke zum Brunnen. Als Malka Schritte auf der Treppe hörte, leichte Schritte, es musste das Mädchen sein, setzte sie sich schnell aufs Bett.
Das Mädchen hielt ihr einen Teller mit Kartoffeln und ein paar Karotten hin. »Hier«, sagte sie und blieb, anders als sonst, stehen und sah zu, wie Malka aß.
Plötzlich sagte sie: »Du musst weg, mein Papa hat gehört, dass es eine Razzia geben wird.«
»Was ist eine Razzia?«, fragte Malka.
»So heißt das, wenn ungarische Gendarmen nach polnischen Juden suchen. Papa hat gesagt, du musst weg, sonst kommen wir alle in Gefahr.«
Malka legte den Löffel hin, sie hatte auf einmal keinen Hunger mehr. »Und wo soll ich hin?«, fragte sie.
Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Weg eben. Damit dich niemand bei
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