Malka Mai
wichtiger waren als die Liebe. Und als drei Jahre später Issi kam, hübsch, blond, groß wie Aleksander, aber jüdisch, hatte sie gedacht, mit ihm könne sie verwirklichen, was ihr mit dem anderen nicht gelungen war, aus welchen Gründen auch immer, und sie hatte zugegriffen. Ihn konnte sie ihren Eltern vorzeigen, ein Jude, was wollt ihr mehr, zwar kein Pole, sondern ein Jecke, aber jüdisch.
Seltsam, dass sich einem die Vergangenheit immer wieder aufdrängt, dachte Hanna, man wird sie nicht los. So lange habe ich jetzt nicht mehr an Aleksander gedacht und auf einmal ist er wieder da. Dabei sollte ich mir lieber Sorgen darüber machen, was einmal aus meiner Tochter werden könnte. Damals, als sie Minna ins Pensionat schicken wollte, war der Krieg dazwischengekommen. Aber es war ihr ja auch bequem gewesen, dass Minna auf Malka aufpassen konnte, wenn sie durch ihren Bezirk fuhr und oft vierzehn Tage lang nicht nach Hause kam. Nur bei den ukrainischen Dienstmädchen hätte sie das Kind ungern gelassen.
Ob Malka jetzt schlief? War ihr Fieber weg? Hatte diese Frau ihr regelmäßig die aufgelösten Chinintabletten gegeben? Wann würde sie das Kind wiederbekommen?
Sie schob sich etwas näher an Minna, so dass sie die Wärme ihrer Tochter spürte, und drückte ihr vorsichtig, um sie nicht zu wecken, einen Kuss auf die Haare.
Herr Kopolowici brachte Malka nicht in ein neues Versteck, wie sie es erwartet hatte, sondern ging mit ihr die Straße entlang, die zur Stadt führte. Außer einem knappen »Komm« hatte er noch kein Wort gesagt. Er lief schnell, mit großen Schritten, so dass Malka kaum mitkam und fast rennen musste. Als die ersten Häuser schon so nahe waren, dass Malka die Fenster und Türen unterscheiden konnte, blieb er stehen, hob den Arm und deutete auf die Stadt. »Du musst dir etwas anderes suchen, dort«, sagte er so laut, dass Malka unwillkürlich zusammenfuhr.
»Und wie komme ich zu meiner Mutter?«, fragte sie.
Er zuckte mit den Schultern. »Deine Mutter wartet in Munkatsch auf dich, dann will sie weiter nach Budapest. Du musst dir einen anderen suchen, der dir hilft, ich kann nichts mehr für dich tun. Und jetzt geh, ich will nicht, dass uns jemand zusammen sieht.« Er drehte sich um und lief schnell zurück.
Malka stand auf der Straße und verstand nicht gleich, was passiert war. Langsam, ganz langsam drang es in ihr Bewusstsein. Sie war allein. Allein in einem fremden Land, allein auf einer fremden Straße. Seltsamerweise erschrak sie nicht wirklich, im Gegenteil, sie war fast erleichtert, diesem langweiligen Zimmer mit den schrägen Decken und dem kleinen Fenster entkommen zu sein und endlich etwas anderes zu sehen als nur die dummen Hühner.
Sie lief die Straße entlang, auf die Stadt zu. Die ersten Menschen, die sie traf, wagte sie noch nicht anzuschauen, sie senkte den Kopf und drückte sich an Hauswände oder in Toreinfahrten, doch bald merkte sie, dass niemand sie beachtete. Ihr fiel der Satz ein, den ihre Mutter in jener Nacht gesagt hatte und den sie erst jetzt wirklich zu hören meinte: Ein Kind fällt nicht auf, ein Kind läuft immer irgendwie mit. »Stimmt«, sagte sie leise.
Pilipiec war größer als Lawoczne, größer und schöner, es gab viel zu sehen. Staunend lief Malka durch die Gassen und Gässchen, bog mal nach links ein, dann nach rechts und wusste schon nicht mehr, wo sie sich befand. Den Weg zurück zur Mühle hätte sie nicht mehr gefunden. Aus Langeweile dachte sie sich ein Spiel aus, das sie »Bilder sammeln« nannte. Wenn ihr etwas besonders gut gefiel, so gut, dass sie es auf keinen Fall vergessen wollte, betrachtete sie es lange, schloss die Augen und stellte es sich gemalt in einem Buch vor.
Auf einer Seite war zum Beispiel eine grüne Tür mit einem Streifen aus roten und blauen Linien und Flächen, der sich wie ein Band um die Türfüllung zog, davor eine breite Steinstufe, auf der sich zwei Kätzchen balgten. Ihre Mutter saß daneben, leckte sich die Pfoten und tat, als gingen sie die beiden nichts an.
Auf der nächsten Seite war das Bild einer Frau, die auf dem Bürgersteig saß, vor sich ein Eisenbecken mit Kohlen und einem Rost, auf dem gelbe Maiskolben brieten. Die Frau war alt und hatte ein schwarzes Tuch mit Fransen über Kopf und Schultern hängen. Malka schaute zu, wie die Maiskörner langsam braun wurden. Ein Mann mit einem Jungen blieb stehen und kaufte einen Maiskolben für seinen Sohn. Der Geruch kitzelte Malkas Nase und ihren Gaumen, sie hätte so
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