Malka Mai
oder ein Hühnerbein. Doch das traute sie sich nicht. Niemand schaute zu ihr her, es war, als wäre sie unsichtbar, die Leute aßen und tranken und redeten, ohne dem fremden Kind Beachtung zu schenken.
Malka betrachtete die Hochzeitsgäste, einen nach dem anderen, dann entschied sie sich für eine ältere Frau mit einem breiten Gesicht und einem weißen Kopftuch, die nicht weit von der Platte mit den Hühnern saß und die sie an Chajas Mutter erinnerte, die Frau des Schochet. Sie stellte sich neben sie und wartete. Als die Frau sie erstaunt anschaute, sagte sie: »Hunger … Hunger … Brot …«, hob die Hände und deutete auf ihren Mund.
Die Frau zog fragend die Augenbrauen hoch, dann lachte sie, nahm ein braunes, fettes Hühnerbein und hielt es Malka hin. Malka griff danach und wollte weggehen, doch da war die Frau schon aufgestanden, drückte sie auf ihren Stuhl und schob ihr auch noch einen Teller hin, auf den sie Kartoffeln und Gemüse schöpfte. Sie sprach auf sie ein, die Stimme klang nicht unfreundlich, aber Malka konnte nicht verstehen, was sie sagte, und zog den Kopf zwischen die Schultern. Da drückte ihr die Frau eine Gabel in die Hand und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, sie solle essen. Auf einmal schauten alle zu ihr her und Malka hatte das Gefühl, unter den fremden Blicken keinen Bissen hinunterzubekommen. Doch das Hühnerbein in ihrer linken Hand roch so verlockend, dass sie die vielen fremden Menschen vergaß und anfing zu essen.
Als sie fertig war und noch einen Tee getrunken hatte, standen zwei Männer auf und brachten sie zur Gendarmerie.
Ein Gendarm saß in der Wachstube. Die beiden Männer, die Malka hergebracht hatten, unterhielten sich auf Ungarisch mit ihm, so dass sie nicht verstand, was gesagt wurde. Der jüngere der beiden, ein Mann mit schwarzen Augen und schwarzem Schnurrbart, strich ihr über die Haare und deutete immer wieder auf sie, während ein Schwall unverständlicher Worte aus seinem Mund kam. Malka schaute sich um. An der Wand hinter dem Gendarmen hing ein kleines Kreuz, daneben eine große Landkarte, in die Stecknadeln mit roten, blauen und grünen Köpfen gesteckt waren, ansonsten war die Wachstube fast leer.
Der Gendarm saß hinter einem hellen Holztisch, auf dem Papiere lagen, Formulare, Stifte, ein Radiergummi und ein Spitzer. An der Seite, fast an der Tischkante, stand eine schwarze Schreibmaschine, ähnlich der Schreibmaschine, die ihrer Mutter gehörte und die in Lawoczne zurückgeblieben war, zusammen mit allen anderen Sachen. Aber in diesem Moment tat es Malka nur Leid um die Schreibmaschine, als wäre ihr Verlust das Schlimmste, was ihnen passiert war. Sie starrte die Tasten mit den Buchstaben an und musste schlucken, und als sie sich über die Augen wischte, blieb eine feuchte Glanzspur auf ihrem Handrücken.
Der junge Mann mit dem schwarzen Schnurrbart fuhr ihr noch einmal durch die Haare, sagte etwas und verließ mit dem anderen den Raum. Malka war allein mit dem Gendarmen. Er fragte sie auf Polnisch nach ihrem Namen.
»Malka«, sagte sie, »ich heiße Malka Mai.«
»Bist du Jüdin?«
Malka nickte.
»Und wo sind deine Eltern?«
Malka zuckte mit den Schultern, denn sie spürte, wenn sie jetzt etwas sagte, würde sie wirklich anfangen zu weinen und das durfte sie nicht, auch wenn ihr nicht klar war, warum.
»Woher kommst du?«, fragte er, und als sie nicht antwortete, formulierte er seine Frage anders: »Wo hast du früher gewohnt?«
»In Lawoczne«, sagte Malka. Sie merkte selbst, wie fremd ihre Stimme klang, als käme sie nicht aus ihrer Kehle, sondern von irgendwo außerhalb.
Der Gendarm schüttelte den Kopf und stieß ein paar Worte auf Ungarisch aus, die sich wie Flüche anhörten. Dann legte er den Bleistift hin, mit dem er ihre Antworten auf ein Blatt Papier geschrieben hatte, schüttelte noch einmal den Kopf und sagte: »Komm.«
Malka stand auf, er nahm sie an der Hand und führte sie eine Treppe hinunter in den Keller. Dort knipste er das Licht an und Malka sah am Ende eines Ganges eine Tür. Der Mann schloss sie mit einem großen Schlüssel auf und schob Malka in einen dunklen Raum. Bevor er die Tür wieder zumachte, sah sie in dem hellen Dreieck auf dem Boden Füße und Beine. Dann verschwand das helle Dreieck, die Tür hinter ihr fiel ins Schloss, der Schlüssel wurde umgedreht und es war ganz dunkel.
»Ein Kind«, sagte eine Frauenstimme auf Polnisch. »Die scheuen auch vor nichts zurück. Komm her, Kind.« Malka fühlte, wie eine
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