Malka Mai
ist deine Mutter jetzt?«
Malka fing an zu weinen. »Los«, sagte der Deutsche ungeduldig und der ältere der beiden Gendarmen bellte sie an: »Gib gefälligst Antwort, wenn du gefragt wirst.«
»Wer hat euch über die Grenze gebracht?«, fragte der Deutsche. »Es muss einer von hier gewesen sein, alleine hättet ihr das nicht geschafft. Also sag, wer war es? Ich will den Namen wissen.«
Malka zuckte mit den Schultern, sie hatte ihn auch nicht richtig verstanden, sein Deutsch klang ganz anders als das von Frau Schneider und Veronika.
»Antworte!«, fuhr der ältere der beiden Polen sie an, und als sie hilflos den Kopf schüttelte, trat er einen Schritt auf sie zu und schlug sie ins Gesicht, einmal, zweimal, dreimal. Sie hob die Hände schützend vors Gesicht und der Deutsche sagte: »Lass sie, nehmen wir uns die beiden anderen vor.«
Malka weinte, sie verstand kaum, was die Jungen gefragt wurden, hörte nur, dass sie, als sie ihre Namen nennen sollten, nicht Schlomo und Josef sagten, sondern angaben, Andrej und Jurek Pollack zu heißen. Und sie leugneten auch, Juden zu sein, erst als der Deutsche befahl: »Hosen runter!«, sagte Schlomo schnell: »Doch, wir sind Juden.«
Malkas Wangen brannten von den Schlägen, sie hörte, dass auch Schlomo und Jossel geschlagen wurden, ihre Umgebung verschwand hinter ihren Händen. Ihre Wangen hörten auf zu brennen, sie fühlten sich taub an, ihr ganzer Körper fühlte sich taub an, um sie herum war es leer, in ihren Ohren sauste ein Sturm, der Sturm schüttelte sie oder war es das Weinen, aber sie weinte doch nicht, kein Ton kam aus ihrer Kehle, nichts war zu hören, sie spürte nur das Schütteln.
Später ließ der Sturm nach, wurde zu einem Wind und hörte dann ganz auf. Sie saß wieder auf der Holzbank, neben Jossel und Schlomo. Jossel hielt ihre Hand in seinen trockenen, rauen Fingern. Malka war sehr müde, sie blickte sich um. Sie waren allein im Zimmer, Malka hatte nicht bemerkt, wann der Deutsche und die beiden Polen den Raum verlassen hatten.
»Bist du das erste Mal geschlagen worden, weil du dich so aufgeregt hast?«, fragte Jossel.
Malka schüttelte den Kopf. Nein, es war nicht das erste Mal, ihre Schwester Minna hatte sie oft genug geschlagen, sie war immer eine strenge Erzieherin gewesen. Und sogar ihre Mutter hatte sie geschlagen, wenn sie nicht gehorcht hatte. Aber diesmal war es etwas anderes gewesen. Kein Schlag aus Zorn, weil sie frech gewesen war oder irgendetwas nicht gemacht hatte oder so, sondern ein verächtliches Schlagen. Wie man einen Hund schlägt oder wie man eine Fliege totklatscht, dachte Malka, aber sie wusste nicht, wie sie das erklären sollte, deshalb schwieg sie.
»Die Ungarn sind netter als die Polen«, sagte Jossel, »die Ungarn schlagen nicht so schnell.«
»Igen-migen fängt sich Fliegen«, sang Schlomo leise. Jossel lachte und drehte sich zu Malka. »Alle Ungarn haben rote Gesichter und Schnurrbärte«, sagte er. »Und wenn sie nicht Geige spielen, dann essen sie Gulasch oder fangen Fliegen. Du kannst es mir glauben, ich hab’s selbst gesehen.«
Malka antwortete nicht, sie lachte auch nicht, rückte aber etwas näher zu ihm.
»Wir hauen ab«, sagte Schlomo plötzlich. »Durch das Fenster, ich habe es mir genau überlegt.«
»Warum?«, sagte Jossel mit einer ganz kleinen Stimme. »Und wenn sie uns wieder schnappen?«
»Diesmal nicht«, sagte sein Bruder, »diesmal machen wir es ganz anders. Wir gehen nur durch den Wald, egal, wie groß der Umweg ist, und passen auf, dass uns niemand sieht. Und diesmal gehen wir gleich zu dem Dorf, wo ich Leute kenne, die uns bestimmt helfen. Ich bleibe nicht hier, ich lass mich nicht einfach erschießen.« Er tat, als hätte er ein Gewehr in der Hand und bewegte den Finger am Abzug. »Bum-bum, aus und vorbei. Willst du etwa nicht weg?«
Jossel antwortete nicht, aber Malka merkte, wie sein Körper steif wurde. Sie verstand ihn nur zu gut, sie wusste, wie schlimm es war, durch die Berge zu laufen, immer nur zu laufen, weiter, weiter, keine Pause, weiter, auch wenn man eigentlich keinen Schritt mehr machen konnte. Trotzdem fragte sie: »Nehmt ihr mich mit?«
Schlomo schwieg und Jossel schwieg auch. Im Zimmer war es schon sehr dunkel geworden und Malka merkte plötzlich, dass es nach Staub und Tinte roch. Schlomo sagte etwas, Jossel antwortete ihm, aber Malka nahm es nicht mehr wahr, es war ihr egal, alles war ihr egal, sie war müde. Sie ließ sich zur Seite sinken, halb über die Lehne, zog
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