Malloreon 1 - Herrn des Westens
überlegte.
»Er könnte recht haben, Mandorallen«, warf Barak ein. »Stadtmauern stützt man gewöhnlich von innen. Sie dienen dazu, Feinde auszuschließen, nicht die Leute drinnen festzuhalten. Wenn wir Steine gegen die Innenseite der Mauer schmettern, arbeitet das gesamte Stützwerk für uns. Nicht nur das – wenn die Mauer nach außen fällt, haben wir gleich natürliche Rampen zur Stadt. Das erspart uns Sturmleitern.«
Yarblek, mit der Pelzkappe verwegen auf dem Kopf, schlenderte herbei, um zu hören, worum es ging. Nachdem Durnik seine Idee erklärt hatte, kniff der hagere Nadraker die Augen nachdenklich zusammen. »Scheint mir recht vernünftig, Arendier«, wandte er sich an Mandorallen. »Und nachdem Ihr die Mauer eine Weile von innen bearbeitet habt, können wir ein paar Enterhaken darüber werfen. Wenn sie genug angeschlagen ist, müßten wir sie eigentlich herunterziehen können.«
»Ich muß zugeben, daß mir die Durchführung dieser äußerst ungewöhnlichen Art der Belagerung für möglich erscheint«, sagte Mandorallen auf seine übliche, umständliche Art. »Obgleich beides altbewährter Weise widerspricht, könnte es die langwierige und anstrengende Prozedur der Zerstörung der Mauer verkürzen.« Dann blickte er Yarblek interessiert an. »Ich war bisher nicht auf den Gedanken gekommen, Enterhaken auf diese Weise zum Einsatz zu bringen«, gestand er.
Yarblek lachte rauh. »Das kommt wahrscheinlich daher, daß Ihr eben kein Nadraker seid. Wir sind ein ungeduldiges Völkchen, des halb bauen wir keine sehr stabilen Mauern. Ich habe schon so manches ziemlich feste Haus niedergerissen – aus dem einen oder anderen Grund.«
»Wir sollten die Mauer jedoch nicht zu früh zum Einsturz bringen«, warnte Barak. »Die Bewohner sind uns gegenwärtig zahlenmäßig noch überlegen. Schließlich wollen wir nicht, daß sie herausgestürmt kommen – denn wenn man jemandes Mauern niederreißt, bringt ihn das gewöhnlich in Wut.«
Erst nach zwei weiteren Tagen der Belagerung von Rheon kehrte Javelin auf einem völlig erschöpften Pferd zurück. »Haldar hat seine eigenen Leute als Offiziere eingeschleust«, meldete er, als sich alle in dem großen Zelt eingefunden hatten, das den Belagerern als Hauptquartier diente. »Sie gehen herum und halten Reden, daß Belgarion Königin Porenn gefangengenommen habe. Sie haben die Truppen schon fast soweit, daß sie ihr zur Hilfe eilen wollen.«
»Sind Brendig und die Sendarier bereits in Sichtweite?« erkundigte sich Garion.
»Ich habe sie nicht persönlich gesehen, aber Haldar treibt seine Truppen zum Gewaltmarsch an, und er hat eine Menge Kundschafter hinter sich. Ich glaube, er denkt, daß Brendig ihm dicht auf den Fersen ist. Auf dem Rückweg begegnete ich Lady Polgara und dem Zauberer Beldin. Sie haben einen Plan, doch ich hatte keine Zeit, mich nach Einzelheiten zu erkundigen.« Erschöpft lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück.
»Ihr seid müde, Khendon«, stellte Königin Porenn fest.
»Ruht Euch doch erst einmal ein paar Stunden aus, dann kommen wir am Abend wieder hier zusammen.«
»Es ist nicht so schlimm, Eure Majestät«, entgegnete er rasch.
»Nein, legt Euch nieder, Javelin«, sagte sie fest. »Euer Beitrag zu unserem Gespräch wird nicht sehr brauchbar sein, wenn Ihr vor Müdigkeit auf Eurem Stuhl einnickt.«
»Tut lieber, was sie sagt, Javelin«, riet ihm Silk. »Sie wird Euch bemuttern, ob es Euch gefällt oder nicht.«
»Genug, Silk!« rügte Porenn.
»Aber das wirst du tun, Tantchen. Du bist weit und breit als Drasniens Mütterchen bekannt!«
»Genug, habe ich gesagt!«
»Jawohl, Mutter.«
»Ich glaube, du begibst dich da auf dünnes Eis«, flüsterte Yarblek ihm zu.
»Ich bewege mich immer auf dünnem Eis. Das gibt dem Leben einen gewissen Reiz.«
Der Abend war noch düsterer als die Tage bisher, als Garion und seine Freunde sich wieder in dem großen Zelt in der Mitte des Lagers einfanden. Yarblek hatte mehrere Rollen Teppich mitgebracht und ein paar eiserne Feuerbecken. Diese Bereicherungen für ihr Hauptquartier verliehen dem Zeltinneren fast einen Hauch von barbarischem Prunk.
»Wo ist Silk?« fragte Garion, nachdem sie sich rund um die glühenden Feuerbecken gesetzt hatten.
»Ich glaube, er schnüffelt draußen herum«, antwortete Barak.
Garion verzog das Gesicht. »Ich wünschte, er würde wenigstens einmal da sein, wo er sein sollte.«
Javelin wirkte nach dem mehrstündigen Schlaf bedeutend wacher. Sein Gesicht jedoch war
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