Malloreon 1 - Herrn des Westens
Haare ihm nicht in die Augen hingen. Polgara dagegen machte es anscheinend große Freude, einen Kamm durch seine weichen, hellblonden Locken zu ziehen. Er sah hin und wieder zur ungewöhnlichsten Tageszeit, wie diese eigenartige Sanftheit aus ihrem Blick sprach und wie ihre Finger fast von selbst nach einem Kamm zuckten. Und wenn er sich in so einem Fall nicht sofort mit etwas Dringendem beschäftigte, würde er, wie er wußte, wortlos auf einen Hocker gesetzt werden, und sie würde anfangen ihn zu frisieren.
An der Tür wurde respektvolles Klopfen laut.
»Ja, Garion?« Polgara blickte nicht einmal auf.
»Ich hoffe, ich komme nicht zu früh, Tante Pol. Darf ich eintreten?«
»Natürlich, Liebes.«
Garion trug Wams, Beinkleid und weiche Lederschuhe ganz in Blau. Botschaft war schon aufgefallen, daß sich der junge König von Riva, wenn er die Wahl hatte, am liebsten in Blau kleidete.
»Guten Morgen, Liebes«, begrüßte Polgara ihn, während ihre Finger sich immer noch mit dem Kamm beschäftigten.
»Guten Morgen, Tante Pol.« Dann blickte Garion auf den Jungen, der kribbelig fast an der Kante des Schemels vor Polgaras Füßen saß. »Guten Morgen, Botschaft«, sagte er verständnisvoll.
»Morgen, Belgarion.« Botschaft nickte ihm zu.
»Halt den Kopf still, Botschaft«, rügte Polgara. »Möchtest du Tee?« fragte sie Garion.
»Nein, danke.« Er zog einen Stuhl heran und setzte sich ihr gegenüber. »Wo ist Durnik?«
»Er macht einen Spaziergang auf dem Wehrgang«, antwortete Polgara. »Durnik ist am liebsten im Freien, wenn die Sonne auf geht.«
Garion lächelte. »Ich erinnere mich. Früher, auf dem Hof, war es nicht anders.« Er ließ offen, ob er Durnik oder Botschaft damit meinte, in dem er sich selbst als Junge in Sendarien wiedererkannte. »Ist alles in Ordnung?« fuhr er fort. »Mit den Gemächern, meine ich?«
»Ich fühle mich stets sehr wohl hier«, versicherte sie ihm. »Gewissermaßen kam es einem festen Zuhause immer am nächsten – zumindest bis jetzt.« Ihr Blick wanderte zufrieden vom tiefen Rot der Vorhänge zu den dunklen Lederpolstern ihrer Sessel, und sie seufzte glücklich.
»Das hier sind schon seit langer Zeit deine Gemächer, nicht wahr?«
»Ja. Beldaran hielt sie für mich bereit, nachdem sie sich mit Eisenfaust vermählt hatte.«
»Wie war er?«
»Eisenfaust? Sehr groß – fast so groß wie sein Vater – und ungeheuer stark.« Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Botschafts Locken zu.
»War er so groß wie Barak?«
»Größer, aber nicht so beleibt. König Cherek selbst maß sieben Fuß, und seine Söhne waren alle sehr stattlich. Dras Stiernacken war wie ein Baumstamm. Eisenfaust war etwas hagerer, er hatte einen buschigen schwarzen Bart, und seine blauen Augen konnten einem bis ins Herz blicken. Als er und Beldaran heirateten, durchzog bereits das erste Grau sein Haar; trotzdem war er von einer tiefen Unschuld, die wir alle spüren konnten. Sie ähnelte sehr der, die wir in Botschaft spüren.«
»Du kannst dich offenbar sehr gut an ihn erinnern. Für mich war er immer nur ein Sagenheld. Jeder kennt seine Taten, aber über ihn als Menschen wissen wir so gut wie nichts.«
»O ja, ich kann mich wirklich gut an ihn erinnern, Garion. Immerhin hätte auch ich seine Gemahlin werden können.«
»Eisenfausts?«
»Ja. Aldur wies Vater an, dem Rivanischen König eine seiner Töchter zur Frau zu schicken. Vater mußte sich zwischen Beldaran und mir entscheiden. Ich glaube, der alte Wolf traf die richtige Wahl, aber ich sehe Eisenfaust immer noch in einem ganz besonderen Licht.« Sie seufzte und lächelte fast ein wenig verlegen. »Ich glaube nicht, daß ich ihm ein gutes Weib gewesen wäre«, meinte sie. »Meine Schwester Beldaran war lieb und sanft und sehr schön. Ich war weder sanft noch sonderlich anziehend.«
»Aber du bist die schönste Frau der Welt, Tante Pol«, widersprach Garion rasch.
»Lieb, daß du das sagst, Garion, doch mit sechzehn war ich nicht, was man allgemein hübsch nennen würde. Ich war groß und schlaksig, hatte fast ständig aufgeschürfte Knie, und mein Gesicht war die meiste Zeit schmutzig. Dein Großvater hat sich nie sehr um das Aussehen seiner Töchter gekümmert. Manchmal vergingen Wochen, ohne daß mein Haar einem Kamm auch nur nahe kam. Ich mochte mein Haar ohnehin nicht sehr. Beldarans war weich und golden, doch meines glich eher einer Pferdemähne, und ich hatte auch schon damals diese weiße Strähne.« Abwesend berührte sie mit dem
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