Malloreon 1 - Herrn des Westens
eingegraben hatte. Seit er und Garion täglich mehrere Stunden miteinander verbrachten, waren sie Freunde geworden, und Garion hielt sehr viel von Kails Urteil und Rat. »Ist es ernst?« erkundigte sich der König und warf einen Blick auf das Pergament.
»Es könnte sich als ernst erweisen, Sire«, entgegnete Kail. »Es gibt eine Meinungsverschiedenheit über den Besitzanspruch auf ein bestimmtes Tal. Die streitenden Parteien sind beide sehr mächtige Familien, und ich glaube, wir sollten die Sache klären, ehe sie ausartet.«
»Hat die eine oder andere Seite einen eindeutigen Beweis für ihr Besitzrecht?«
Kail schüttelte den Kopf. »Die beiden Familien haben das Land seit Jahrhunderten geteilt. Doch seit kurzem gibt es gewisse Reibereien zwischen ihnen.«
»Ich verstehe«, murmelte Garion. »Also egal, wie ich entscheide, eine der beiden Seiten wird darüber nicht erfreut sein, richtig?«
»Höchstwahrscheinlich, Eure Majestät.«
»Na gut, regeln wir es so, daß keine erfreut sein wird. Setzt etwas auf, das sich amtlich liest und besagt, daß dieses Tal nun der Krone gehört. Daraufhin wollen wir sie eine Woche schmoren lassen, und dann teile ich das Land genau in der Mitte und überschreibe jedem die Hälfte. Sie werden in ihrer Wut über mich vergessen, daß sie sich gestritten haben. Ich möchte nicht, daß diese Insel zu einem zweiten Arendien wird.«
Kail lachte. »Eine sehr kluge Entscheidung, Belgarion!«
Garion grinste ihn an. »Ich bin ja auch in Sendarien aufgewachsen, wie Ihr wißt. Oh, behaltet einen Streifen des Tals für uns – etwa dreißig Ellen breit, genau in der Mitte. Nennt es Kronland oder dergleichen und verbietet den beiden, es zu übertreten. Das wird sie davon abhalten, einander entlang des Zauns die Köpfe einzuschlagen.« Er gab Kail das Pergament zurück und ging weiter, recht zufrieden mit sich.
Der Zweck seines Spaziergangs in die Stadt war der Besuch bei einem jungen Glasbläser aus seinem näheren Bekanntenkreis, einem sehr fähigen Handwerker, ja eher Künstler, namens Joran. Der augenscheinliche Grund dieses Besuches war, den Satz Kristallkelche zu begutachten, die er als Geschenk für Ce'Nedra in Auftrag gegeben hatte, der eigentliche war jedoch ernsterer Natur. Dadurch, daß er im Gegensatz zu anderen Monarchen in weniger hohen Kreisen aufwuchs, war er sich bewußt, ebenfalls im Gegensatz zu den meisten anderen Königen, daß die Meinungen und Probleme des einfachen Volkes nicht bis zum Thron vordrangen. Deshalb fand er, daß er ein Paar aufmerksame Augen und Ohren in der Stadt brauchte – nicht als Spitzel, um unfreundliche Bemerkungen über die Krone an ihn weiterzuleiten, sondern um ihm ein vorurteilsloses Bild der wahren Probleme seiner Untertanen zu geben. Seine Wahl für diese Aufgabe war auf Joran gefallen.
Nachdem sie beide sich, um den Schein zu wahren, mit den Kelchen beschäftigt hatten, zogen sie sich in die kleine private Stube hinter Jorans Werkstatt zurück.
»Ich habe Eure Botschaft erhalten, als ich von Arendien zurückkam«, sagte Garion. »Ist die Sache wirklich so ernst?«
»Ich denke schon, Eure Majestät«, antwortete Joran. »Die Steuer wurde meines Erachtens schlecht durchdacht und schafft böses Blut.«
»Und man macht mich dafür verantwortlich, nehme ich an?«
»Ihr seid schließlich der König.«
»Danke«, sagte Garion trocken. »Und worin genau liegt der Grund für die Unzufriedenheit?«
»Alle Steuern sind unerfreulich«, bemerkte Joran, »aber man findet sich damit ab, solange alle sie gleichermaßen entrichten müssen. Die Ausnahmen sind es, worüber die Leute sich erregen.«
»Ausnahmen? Worum handelt es sich in diesem Fall?«
»Die Edelleute brauchen keine Umsatzsteuer zu bezahlen. Habt Ihr das gewußt?«
»Nein«, erwiderte Garion. »Habe ich nicht.«
»Die zugrunde liegende Theorie war, daß die Edlen andere Verpflichtungen hätten, nämlich Truppen zu unterhalten. Doch das trifft jetzt nicht mehr zu. Die Krone stellt ihre eigenen Streitkräfte auf. Eröffnet ein Edelmann jedoch ein Geschäft, braucht er keine Umsatzsteuer zu entrichten; dabei ist der einzige Unterschied zwischen ihm und jedem anderen Geschäftsmann, Handwerker oder ansonsten Selbständigen, daß er einen Titel trägt. Sein Geschäft ist nicht anders als meines, er verbringt seine Zeit auf die gleiche Weise wie ich – ich freilich muß Steuern zahlen, er dagegen nicht.«
»Das muß neu geregelt werden«, erklärte Garion. »Wir streichen diese
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