Malloreon 1 - Herrn des Westens
sie blickte sie mißbilligend an, dann hörte sie eine Weile mit dem Zählen auf, um sie sorgsam mit dem Saum ihres Gewandes glänzend zu reiben.
»Wolltest du nicht in die Stadt gehen?« erkundigte Garion sich ein wenig später, nachdem er sich wieder am anderen Ende des Tisches niedergelassen hatte.
»Das verschiebe ich auf einen anderen Tag, glaube ich.« Sie zählte weiter. Eine Locke löste sich aus ihrer Frisur und fiel über die Stirn, abwesend blies sie sie hin und wieder zur Seite, ohne sich bei ihrer Arbeit stören zu lassen. Sie schöpfte eine weitere Handvoll Münzen aus der Lade, sortierte sie und stapelte auch sie ordentlich vor sich auf den Tisch. Sie wirkte dabei so ernst, daß Garion lachen mußte.
Sie schaute auf und blickte ihn scharf an. »Was ist so komisch?«
»Nichts, Liebes«, versicherte er ihr und kehrte zu seiner Arbeit zurück, begleitet von der klimpernden Hintergrundmusik von Ce'Nedras Zählen.
Als der Sommer fortschritt, kamen weiterhin gute Nachrichten aus den südlicheren Gefilden. König Urgit von Cthol Murgos hatte sich tiefer ins Gebirge zurückgezogen, und die Vorhut Kaiser Kal Zakaths von Mallorea kam nun noch langsamer voran. Die malloreanischen Streitkräfte hatten in ihren ersten Versuchen, den Murgos in diese Felsöde zu folgen, empfindliche Verluste erlitten und befleißigten sich jetzt größter Vorsicht. Garion nahm diese Neuigkeit über das Beinahe-Patt im Süden mit großer Befriedigung entgegen.
Gegen Sommerende kam Kunde aus Algarien, daß Garions Base Adara Hettar einen zweiten Sohn geschenkt hatte. Ce'Nedra war vor Freude außer sich und griff tief in die Schublade in ihres Gemahls Arbeitsgemach, um ansprechende Geschenke für Mutter und Kind zu erstehen.
Die Nachricht, die sie im frühen Herbst erreichte, war jedoch weniger erfreulich. In einem bedauernden Brief teilte General Varana ihnen mit, daß der Zustand von Ce'Nedras Vater, Kaiser Ran Borune XXIII. sich rapide verschlechtere und sie rasch nach Tol Honeth kommen sollten.
Glücklicherweise blieb der Herbsthimmel klar, während das Schiff mit dem Rivanischen König und seiner fast bis zur Verzweiflung besorgten kleinen Königin von gutem Rückenwind geschwind südwärts getrieben wurde. Sie erreichten Tol Horb an der breiten Mündung des Nedrans in knapp einer Woche und ruderten von dort flußauf zur Kaiserstadt Tol Honeth.
Sie hatten erst einige Meilen auf dem Fluß zurückgelegt, als ihnen eine kleine Flotte weißer und goldener Barken entgegenkam, die sich um sie formierte, um sie nach Tol Honeth zu geleiten. An Bord dieser Barken befanden sich Chöre junger Tolnedrerinnen, die Blütenblätter auf den breiten Fluß streuten und Lieder zur Begrüßung der Kaiserlichen Prinzessin sangen.
Garion stand neben Ce'Nedra an Deck und runzelte über diese Art der Begrüßung ein wenig die Stirn. »Findest du das richtig?« fragte er sie.
»Es ist Sitte«, erklärte sie ihm. »Angehörige der Kaiserfamilie werden immer zur Stadt geleitet.«
Garion lauschte den Worten des Gesangs. »Haben sie denn nicht von deiner Vermählung gehört?« fragte er. »Sie grüßen die Kaiserliche Prinzessin, nicht die Rivanische Königin.«
»Wir sind ein eigenbrötlerisches Volk, Garion«, entgegnete Ce'Nedra. »In den Augen von Tolnedrern ist eine Kaiserliche Prinzessin etwas viel Bedeutenderes als die Königin einer fernen Insel.«
Der Gesang begleitete sie flußauf. Als die glänzend weiße Stadt Tol Honeth in Sicht kam, begrüßte sie das Geschmetter einer riesigen Messingfanfare von der Stadtmauer. Die scharlachroten Wimpel einer Abteilung Legionäre in brünierter Rüstung flatterten im Wind, und die Helmfederbüsche wippten, während sie am Marmorkai warteten, um sie durch die breiten Prunkstraßen zum Kaiserpalast zu geleiten.
General Varana, ein stämmiger Recke mit kurzgeschnittenem Kraushaar, der merklich hinkte, erwartete sie mit ernster Miene am Palasttor.
»Wir sind doch noch rechtzeitig gekommen, Onkel?« fragte Ce'Nedra mit verängstigter Stimme.
Der General nickte und nahm die zierliche Königin in die Arme.
»Du mußt tapfer sein, Ce'Nedra«, mahnte er. »Dein Vater ist sehr, sehr krank.«
»Besteht noch Hoffnung?« fragte sie bedrückt.
»Hoffen kann man immer«, entgegnete Varana, doch in seinem Ton schwang keine Zuversicht.
»Darf ich zu ihm?«
»Natürlich.« Der General blickte Garion ernst an. »Eure Majestät.« Er verbeugte sich knapp.
»Eure Hoheit.« Garion erinnerte sich, daß Ce'Nedras
Weitere Kostenlose Bücher