Malloreon 5 - Seherin von Kell
Unentschlossenheit und Zweifel griff von Zandramas auf die Seherin über. Das war also der letzte verzweifelte Versuch der Zauberin. Da es ihr nicht geglückt war, ihn und seine Gefährten erfolgreich zu beeinflussen, konzentrierte sie sich nun auf Cyradis. Hilf ihr, Tante Pol! riefen Garions Gedanken. Zandramas versucht, sie davon abzuhalten, ihre Wahl zu treffen! Ja, Garion, antwortete Polgara ruhig, ich weiß. Tu doch etwas! Später. Im Augenblick der Wahl. Wenn ich es jetzt tue, spürt es auch Zandramas und versucht alles, um mich aufzuhalten. »Draußen tut sich etwas!« sagte Durnik drängend. »Ein Licht kommt durch den Korridor.«
Garion schaute rasch in diese Richtung. Das Licht war noch vage, aber zweifellos von einer Art, wie er es noch nie gesehen hatte. »Die Zeit der Wahl ist da, Cyradis«, sagte Zandramas unerbittlich. »Wählt!«
»Ich kann nicht!« wimmerte die Seherin und wandte sich dem heller werdenden Licht zu. »Noch nicht! Ich bin noch nicht bereit!« Sie wankte händeringend durch die Grotte. »Ich bin noch nicht bereit! Ich kann nicht wählen! Schickt ein anderes!« »Wählt!« wiederholte Zandramas kalt.
»Wenn ich es nur sehen könnte!« schluchzte Cyradis. »Wenn ich es nur sehen könnte!«
Da schritt Polgara endlich ein. »Nichts leichter als das, Cyradis«, sagte sie mit fester, ungemein beruhigender Stimme. »Eure innere Sicht hat Euren Blick getrübt, das ist alles.« Sie streckte die Hände aus und nahm dem Mädchen behutsam die Augenbinde ab. »Schaut denn mit menschlichen Augen und trefft Eure Wahl.«
»Das ist verboten!« protestierte Zandramas schrill, als sie sich um ihren Vorteil gebracht sah.
»Nein«, entgegnete Polgara. »Wäre es verboten, hätte ich es nicht zu tun vermocht.«
Cyradis wich selbst vor dem dämmrigen Licht in der Grotte zurück. »Ich kann nicht!« rief sie und legte die Hände vor die Augen. »Ich kann nicht!«
Plötzlich leuchteten Zandramas' Augen auf. »Ich siege doch!« frohlockte sie. »Die Wahl muß getroffen werden, doch nun von jemand anderem. Es obliegt nicht mehr Cyradis, denn die Entscheidung, nicht zu wählen, ist auch eine Wahl.« »Stimmt das?« fragte Garion Beldin rasch.
»Es gibt zwei verschiedene Anschauungen darüber.« »Ja oder nein, Beldin!«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht, Garion.«
Plötzlich kam es zu einer lautlosen Entladung grellen Lichtes an der Mündung des Ganges, der ins Freie führte. Heller als die Sonne brannte dieses Licht, schwoll an und wuchs. So unendlich stark war es, daß selbst die Ritzen zwischen den Steinen in der Grotte weiß glühten.
»Es ist nun endlich so weit«, sagte Garions innerer Gefährte ausdruckslos mit Erionds Lippen. »Es ist der Augenblick der Wahl. Wählt, Cyradis, oder alles fällt der Vernichtung anheim!«
»Es ist so weit«, sprach eine andere, ebenso ausdruckslose Stimme durch die Lippen von Garions Sohn. »Es ist der Augenblick der Wahl. Wählt, Cyradis, oder alles fällt der Vernichtung anheim!« Cyradis schwankte, von Unentschlossenheit zerrissen, ihre Augen huschten von einem zum anderen der beiden Gesichter vor ihr hin und her. Wieder rang sie die Hände.
»Sie kann nicht!« rief der Kaiser von Mallorea und wollte zu ihr laufen.
»Sie muß!« entgegnete Garion und hielt seinen Freund am Arm fest. »Wenn sie es nicht tut, ist alles verloren.«
Wieder glomm schadenfroher Triumph in Zandramas' Augen. »Es ist zu viel für sie!« rief die Zauberin. »Ihr habt Eure Wahl getroffen Cyradis!« schrie sie. »Sie kann nicht ungeschehen gemacht werden. Nun werde ich die Wahl für Euch treffen, und ich werde erhoben werden, wenn der Finstere Gott wiederkehrt!«
Das mochte Zandramas' letzter und entscheidender Fehler gewesen sein. Cyradis richtete sich auf und blickte mit funkelnden Augen voll in das lichtgepunktete Gesicht der Zauberin. »Nein, Zandramas«, entgegnete die Seherin kühl. »Bisher war es nur Unentschlossenheit, keine Wahl, und der Zeitpunkt ist noch nicht vorüber.« Sie hob ihr schönes Gesicht und schloß die Augen. Der gewaltige Chor der Seher von Kell schwoll in der engen Grotte an und endete mit einem fragenden Klang.
»So ist die Entscheidung mein allein«, stellte Cyradis fest. »Sind alle Bedingungen erfüllt?« fragte sie die beiden Bewußtheiten, die unsichtbar hinter Eriond und Geran standen.
»Sie sind erfüllt«, antwortete die eine aus Erionds Lippen.
»Sie sind erfüllt«, erwiderte die andere aus Gerans Lippen.
»So vernehmet denn
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