Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
Beispiel angeführt hatte. Ein Mann, der mit seiner Frau und seinen Kindern zur See fuhr. Seine Frau Amy war ein lebhafter, aufgeweckter, vor Freude überschäumender Mensch, der allem Anschein nach gut damit klarkam, die meiste Zeit des Jahres keinen festen Wohnsitz zu haben. Sie war das zweite weibliche Familienmitglied, bei dem die dunklen Zigeunerzüge durchschlugen. Aber es gab noch etwas anderes an ihr, das in Kateys Augen ein wenig seltsam anmutete.
Lachend zog sie Katey ins Vertrauen. »Ich kann nicht hellsehen, es ist nur so, dass ich manchmal sehr starke Gefühle bei bestimmten Sachen habe.«
»Sie hat mir fast die Pistole auf die Brust gesetzt, damit wir umkehren und nach Hause zurückfahren, weil sie gespürt hat, dass es ein neues Malory-Familienmitglied gab«, fügte Warren hinzu. »Und wie immer hatte sie recht.«
»Genau genommen hatte ich gedacht, eine Baby hätte das Licht der Welt erblickt«, lachte Amy. »Aber ich bin froh, dass du es bist, Katey. Wir werden gute Freundinnen werden«, sagte sie entschieden, lehnte sich nach vorn und flüsterte: »Vergiss den Herzschmerz, meine Liebe. Du wirst bald glücklicher sein, als du es dir je erträumt hast. Darauf habe ich bereits gewettet.«
Erst nachdem Amy und Warren nach Hause gefahren waren, erfuhr Katey, dass Amy noch nie eine Wette in ihrem Leben verloren hatte. Im Gegenteil, wenn sie wollte, dass etwas Bestimmtes geschah, so wettete sie kurzerhand darauf, und es erfüllte sich wie von Zauberhand. Jeremy erzählte Katey alles über Amys ungewöhnliche Fähigkeit und wie oft sie ihre Wetten gegen ihn verwandt hatte. Katey empfand das Ganze als grotesk. Womöglich ein Familienwitz, dessen Pointe ihr bislang verborgen blieb.
Doch Amys Bemerkung über ihren Liebeskummer war so treffend, dass Katey anschließend stundenlang auf dem kleinen Balkon ihres Zimmers stand und darüber nachdachte, woher sie das gewusst haben konnte. Insgeheim hoffte sie, Boyd würde kommen, um sie zu sehen – genau wie die vorherige Nacht. Nachdem nun zwei Tage seit ihrer Rückkehr nach London vergangen waren und sie noch immer nichts von ihm gehört hatte, begann sie sich zu fragen, ob er womöglich gar nicht zurück nach England segelte. Schließlich hatte sie ihm gesagt, dass sie ihn nie wieder sehen wolle und er sie sich aus dem Kopf schlagen solle.
Da sie mit niemandem aus der Familie über ihre Ängste gesprochen hatte, konnte Amy unmöglich davon wissen. Katey hatte ihnen lediglich ihre glückliche Seite gezeigt.
Und dann hatte Anthony sie beim Frühstück darüber informiert, dass er unmittelbar nach ihrer Ankunft in London einen Boten nach Hävers Town entsandt hatte, der sich bei Sophies Arzt nach ihrem Zustand erkundigen sollte. »Ich wollte sichergehen, dass Letitia uns nicht damit abspeist, ihrer Mutter ginge es schlecht. Von ihrem Arzt weiß ich, dass sie wieder genesen ist. Wenn du nichts dagegen hast, würde ich heute gern hinfahren. Ich habe Ros bereits gebeten, alles für einen längeren Besuch auf Haverston vorbereiten zu lassen.«
Kurz nach Mittag hatten Anthony, Roslynn, Judy und Katey London verlassen und sich auf den Weg nach Haverston gemacht, wo sie erst am späten Nachmittag eingetroffen waren. Anthony hatte daraufhin vorgeschlagen, bis zum nächsten Morgen zu warten, um bei den Millards vorbeizuschauen. Doch Katey hatte nicht warten wollen. Sie wollte ihre Großmutter so schnell wie möglich sehen, damit sie die Zeit auf Haverston genießen konnte, ohne ständig an den Pflichtbesuch bei den Millards denken zu müssen.
Sie war davon ausgegangen, dass sie nichts weiter brauchte, um das Loch in ihrem Herzen zu stopfen, das der Tod ihrer geliebten Mutter hinterlassen hatte, weil sie ja jetzt die Malorys hatte. Doch mit jeder Radumdrehung, die sie näher zu den Millards brachte, war das Gefühl zurückgekehrt. Sie hatte sich etwas vorgemacht. Tief in ihrem Innern wollte sie noch immer, dass die Familie ihrer Mutter eine Rolle in ihrem Leben spielte.
Kapitel 53
»Ich bin überzeugt davon, Sie werden hoch erfreut sein, dass meine Mutter mir eine tüchtige Standpauke gehalten hat, nachdem sie wieder genesen ist.«
Das waren die Worte, mit denen Letitia die Tür öffnete, um Anthony und Katey anschließend mit einer überschwänglichen Geste ins Haus zu bitten.
Anthony hatte Katey versprochen, sich ihretwegen von seiner allerbesten Seite zu präsentieren. Sie war sich nicht ganz sicher, was er damit meinte, es beinhaltete aber ein flüchtiges
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