Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
Kind in Amerika großziehen würde. Ich habe meinem Gemahl nie verziehen, dass er sie verjagt hat.«
»Mir hast du auch nicht verziehen!«, warf Letitia voller Verbitterung ein. Ein gekränkter Ausdruck huschte über ihr Gesicht.
»Aber natürlich habe ich das. Ihr wart doch beide meine Töchter. Ich hatte keine Lieblingstochter wie dein Vater. Außerdem warst du ohnehin schon am Boden zerstört. Es wäre nicht gerecht gewesen, dir noch mehr zuzusetzen. Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst die Vergangenheit ruhen lassen und nach vorne sehen? Aber du hast es vorgezogen, der ganzen Welt wegen deines Schicksals zu grollen. Damit, dass du für mich Entscheidungen triffst, ist jetzt allerdings ein für alle Male Schluss. Ist dir je in den Sinn gekommen, wie sehr Katey uns helfen könnte, dass die alten Wunden endlich verheilen? Wie konntest du sie wegschicken, ohne mich vorher über ihren Besuch zu informieren?«
»Du warst krank!«
»Das ist keine Erklärung, und das weißt du auch, mein Kind.«
»Sie ist eine Malory«, schnaubte Letitia. »Die werden hier niemals willkommen sein.«
»So, jetzt aber raus mit der Sprache«, sagte Anthony, dessen Gesicht einen höchst bedrohlichen Ausdruck annahm, ehe er mit donnernder Stimme hinzufügte: »Hätten Sie wohl die Güte, den Malorys zu erklären, woher Ihr Hass rührt? Die Skandale dürften wohl kaum der Grund für Ihre ausgeprägte Abneigung sein.«
Kapitel 54
Die Stille im Raum war von tief empfundenem Zorn getränkt, als Anthony und Letitia sich hasserfüllt anstierten. Sophie blickte verärgert zwischen den beiden hin und her. Noch immer hielt sie Kateys Hand, die auf ihrem Schoß lag. Es hatte fast den Anschein, als wolle sie damit verhindern, dass Katey sich einmischte.
»Wirst du es ihnen sagen, Letty, oder soll ich es tun?«, fragte Sophie letzten Endes, als ihre Tochter Anthony noch immer eine Antwort schuldig blieb.
Letitia presste die Lippen noch fester aufeinander, in ihren Augen loderte das Feuer der Wut. Sie wollte nichts sagen, wollte das Geheimnis für sich behalten. Sophie, die anderer Meinung war, behielt die Zügel in der Hand.
Als wären die Gefühle nicht aufgepeitscht genug, fragte Sophie ihre Tochter mit leiser Stimme: »Wie alt warst du, Letty, als du dich in ihn verliebt hast?«
»Vierzehn«, murmelte Letty.
»Zu jung. Die Gefühle hätten sich wieder legen müssen. Außerdem hat sie ihn nur selten zu Gesicht bekommen. Aber ihre Gefühle blieben, wuchsen mit der Zeit sogar.«
Es war nicht ganz klar, mit wem Sophie sprach. Mit sich selbst oder mit den Wänden. Die ganze Zeit über ruhte ihr Blick auf ihrer Tochter.
Anthony, der von Mutter und Tochter und wieder zurück blickte, sagte konsterniert: »Wollen Sie damit etwa andeuten, sie wäre in mich verliebt gewesen?«
Kichernd warf Sophie ihm einen Blick zu. »Beim Allmächtigen, wo denken Sie hin? Sie waren seinerzeit ja noch ein Kind. Es war Ihr Bruder Jason, auf den sie vom ersten Moment an ein Auge geworfen hatte.«
Ungläubig sagte Anthony: »Mister Ernsthaftigkeit in Person? Jason, der seit seinem achtzehnten Lebensjahr unserer Familie vorsteht, hatte nie Zeit für gesellschaftliche Anlässe, geschweige denn für amouröse Abenteuer.«
»Er hat seinerzeit eine recht fesche Figur abgegeben. Wie oft ist Letty nach Hävers Town gefahren, in der Hoffnung, ihm über den Weg zu laufen, mit ihm einige Worte wechseln zu können?«
Anthonys Augen weiteten sich. »Ich kann mich daran erinnern, dass ich einmal mit dabei war. Mir war sofort klar, dass sie für ihn schwärmte, aber Jason hat von alledem nichts mitbekommen.«
Als Letitia daran erinnert wurde, wie unbedeutend sie in den Augen ihres Angebeteten war, fauchte sie: »Es stimmt. Jedes Mal, wenn ich mit ihm gesprochen habe, musste ich ihn erst daran erinnern, wer ich war.«
»Was haben Sie denn erwartet?«, schoss Anthony zurück. »Sie haben doch noch die Schulbank gedrückt. Davon abgesehen, hatte Jason alle Hände voll damit zu tun, uns großzuziehen und das Anwesen zu leiten.«
»Ich fürchte, Sie verstehen nicht ganz, Sir Anthony«, sagte Sophie mit freundlicher Stimme, woraufhin sich die Stimmung im Raum spürbar verbesserte. »Die Sache ging über Jahre, selbst nach ihrer Einführung in die Gesellschaft. Im Alter von achtzehn hatte sie ihr Gesellschaftsdebüt in Gloucester. Sie hat alles daran gesetzt, sich davor zu drücken, doch Oliver hat darauf bestanden. Zwei Jahre lang hat sie sämtliche Angebote ausgeschlagen
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