Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
anscheinend sehr genau, denn sie tat, als wäre er nicht da. Aber auch das war nicht weiter verwunderlich, war sie doch stinksauer auf ihn. Aber wo, zum Teufel, mochte ihr Gemahl stecken?
Boyd hatte angenommen, dass sie den Glückspilz in England treffen wollte, auch wenn sie das nie explizit gesagt hatte. Sie hatte lediglich gemeint, sie wäre auf dem Weg, ihn zu treffen. War das der Grund für ihre Weltreise, von der Judith ihm erzählt hatte? War es denkbar, dass ihr Gemahl in einem fremden Land auf sie wartete?
Boyd hoffte, dass dem nicht so war, denn im hintersten Winkel seines Verstandes hatte er immer damit gerechnet, dass sich ihre Wege kreuzten und ihr Mann ihm wegen seiner Selbstherrlichkeit die Hölle heißmachte. Im Grunde sehnte er sich nach dieser Begegnung. Er brauchte dringend eine Gelegenheit, sein schlechtes Gewissen zu erleichtern. Kateys Vergebung wäre gut und schön, hätte aber lange nicht denselben heilsamen Effekt wie ein Faustkampf mit ihrem Gemahl. Nein, das würde auch nicht funktionieren. Er war nicht nur voller Bewunderung für Faustkämpfer, sondern selbst nicht gerade untalentiert. Vermutlich würde es sein schlechtes Gewissen nur noch zusätzlich anfachen, wenn er ihren Ehemann bewusstlos schlug.
Mit Mühe und Not unterdrückte Boyd ein verbittertes Lachen. Wem wollte er eigentlich etwas vormachen? Wenn es ihn schon in den Fingern juckte, jemandem die Nase platt zu hauen, warum dann nicht dem Mann, der Katey seine Ehefrau nennen durfte?
Je länger Boyd darüber sinnierte, desto mehr schürte sein Missmut seine Ungeduld. Wenn es nach ihm ginge, hätte er sich jetzt und hier entschuldigt, aber leider waren ihm die Hände gebunden. Er musste Katey unter vier Augen sprechen. Es kam gar nicht infrage, dass er in Anwesenheit anderer erklärte, was in Northampton in ihm vorgegangen war. Vor allem nicht, weil Wollust und starkes Verlangen im Spiel waren.
»Wo befindet sich eigentlich Ihr Gemahl, Mrs. Tyler?«, hörte er sich sagen, als er es vor Liebeskummer nicht mehr aushielt.
Katey hob den Blick, aber nur so lange, um pikiert eine Augenbraue hochzuziehen und mit gespielter Neugierde zu fragen: »Welchen meinen Sie?«
Boyd zuckte zusammen. Ja, das hatte er verdient. Noch ein Fehltritt, für den er sich dringend entschuldigen musste. Wie, in Gottes Namen, hatte er nur annehmen können, dass sie Camerons Gemahlin war?
Doch Katey schien kein gesteigertes Interesse an seiner Antwort zu haben. Den Blick auf den Teller gerichtet, sagte sie: »Ich habe gar keinen Gemahl.«
Ungläubig erkundigte Boyd sich: »Haben sie ihn verloren?«
Er wollte gerade seinem Mitgefühl Ausdruck verleihen, als Katey das Wort ergriff: »Es gab nie einen, den ich verlieren konnte. Ich war noch nie verheiratet.«
Und dann geschahen zwei Dinge gleichzeitig mit Boyd. Erstens spülte eine Woge der Erleichterung über ihn hinweg. Er musste sich nicht länger schuldig fühlen, weil er eine verheiratete Frau begehrte. Sie war noch zu haben! Zweitens dachte er über die vielen verpassten Chancen auf der Überfahrt nach Amerika nach, weil er sich im Glauben gewähnt hatte, sie wäre längst vergeben und Mutter zweier Kinder.
Hätte er geahnt, dass an all dem nichts dran war, wäre ihre Begegnung in Northampton mit Sicherheit völlig anders verlaufen.
Die Möglichkeiten, was alles hätte passieren können, überwältigten ihn. Er hätte sich mit ihr betten können. Ferner wäre er nie auf den Gedanken gekommen, sie davonzuschleifen, damit sie der Wut der Malorys ausgesetzt war. Wären seine Sinne nicht von Wollust vernebelt gewesen, hätte er in ihr das wundervolle, entzückende Wesen gesehen, das sie war, und nicht eine Sekunde an dem Wahrheitsgehalt ihrer Worte gezweifelt. Aber das war nicht möglich gewesen, weil sie ihn wegen ihres Status angelogen hatte. Seine Laune sank, als er darüber nachdachte, ob sie ihm diese Lüge womöglich aufgetischt hatte, um ihn sich vom Leib zu halten. So kam es, dass eine leichte Schärfe in seiner Stimme lag, als er fragte: »Wie kommt es dann, dass Sie sich Mrs. Tyler nennen?«
»Aus Gründen der Bequemlichkeit. Ich habe es getan, um mich zu schützen, um nicht zu viel Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Und es hat bestens funktioniert«, fügte sie dünkelhaft hinzu und blickte auf, um seine Reaktion zu studieren.
Mit gerötetem Gesicht sagte Boyd: »Und Ihre beiden Kinder?«
Katey, die ihm geradewegs in die Augen blickte, antwortete: »Das waren nicht meine Kinder. In dem
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