Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
schallendes Gelächter aus. Judith hatte sich vermutlich an Graces Bemerkung erinnert, dass Katey in letzter Minute der Mut verlassen hatte, um bei ihren Verwandten vorbeizuschauen. Mit Freunden waren natürlich die Malorys gemeint. Es war eher ungewöhnlich, dass ein Kind in solchen Dimensionen dachte, doch so langsam gewöhnte Katey sich daran, dass dieses Mädchen stets für Überraschungen gut war. Vermutlich lag das an der Erziehung, die sie genoss. Anders als andere Kinder war sie nicht nur von Kindermädchen und Erzieherinnen umgeben, die sie wie ein kleines Kind behandelten. Sie verbrachte viel Zeit in der Gegenwart von Erwachsenen, die sie liebten und respektierten.
Doch egal, wie sie es drehte und wendete, es waren nicht die Malorys, die in ihrer Schuld standen. »Ich kann doch unmöglich einfach bei deinem Onkel auftauchen und …«
»Können Sie, vorausgesetzt, ich bin dabei.«
»Deine Eltern hätten bestimmt etwas dagegen, wenn du …«
»Sie kommen einfach mit uns, das heißt eigentlich nur meine Mutter«, fiel Judith ihr abermals ins Wort. »Mein Vater weilt bereits außer Haus, aber seien Sie unbesorgt, Sie werden unseretwegen keine Zeit verlieren. Wir nehmen einfach eine der anderen Kutschen und kommen nach, sobald wir alles gepackt haben.«
Nachdem die Angelegenheit aus Judiths Sicht geregelt war, hüpfte sie aus der Kutsche und lief zurück ins Haus, ehe Katey ihr widersprechen konnte.
Kaum hatte sich die Kutsche wieder in Bewegung gesetzt, meinte Grace: »Glauben Sie allen Ernstes, dass Judith und ihre Mutter nachkommen werden?«
»Eher nicht. Ein Fall von unverbesserlichem Wunschdenken, würde ich sagen. Welche Mutter würde Hals über Kopf die eigenen vier Wände verlassen, um ihre Dankbarkeit zu demonstrieren? Die Vorstellung ist vollkommen absurd. Vermutlich liegt Roslynn Malory noch im Bett.«
»Schade, ich hätte mir gern die Blumenkutsche angesehen.«
Kapitel 20
Keiner, zumindest keiner von den Erwachsenen, die davon wussten, dass er von dem Wunsch beseelt war, sich bei Katey zu entschuldigen, hatte sich die Mühe gemacht, ihm davon zu erzählen, dass sie eine Einladung nach Haverston erhalten hatte. Er erfuhr es schließlich von Jacqueline, die natürlich über jeden Schritt ihrer besten Freundin unterrichtet war. Kaum hatte er davon erfahren, schwang er sich in den Sattel, auch wenn er wusste, dass er sein Ziel erst weit nach Sonnenuntergang erreichen würde.
Der Abstecher am Morgen zu Kateys Hotel hatte ihn wertvolle Zeit gekostet. Obwohl der Portier ihm versichert hatte, Katey wäre längst abgereist, hatte Boyd ihm nicht geglaubt. Da niemand am Vorabend auch nur ein Sterbenswörtchen davon erwähnt hatte, dass sie bereits am nächsten Tag das Land verlassen würde, hegte er insgeheim den Verdacht, sie könne das Hotelpersonal instruiert haben, sie zu verleugnen, falls er sich nach ihr erkundigte, wofür er vollstes Verständnis hatte. Immerhin grollte sie ihm und wollte ihn nie wieder sehen.
Wie ein störrischer Esel hatte er stundenlang in der Hotellobby gewartet, in der Hoffnung, ihr doch noch zu begegnen.
Wütend auf sich selbst, weil er sie verpasst hatte, war er schließlich zu der Überzeugung gekommen, sie könnte das Hotel gewechselt haben, um ihn abzuschütteln. Doch auch seine Nachforschungen in den Hotels der näheren Umgebung waren erfolglos geblieben.
Als er endlich zu Georginas Haus zurückgekehrt war und dort erfahren hatte, dass Katey lediglich nach Haverston gereist war, hatte sein Herz vor Erleichterung einen Satz gemacht. Er kannte den Weg zum Anwesen des ältesten Malorys, war bereits einige Male dort eingekehrt – vornehmlich zu Weihnachten, wenn sich der gesamte Malory-Clan, seine Schwester inbegriffen, dort versammelte.
Für gewöhnlich hätte Boyd den Ritt durch die bunte Herbstlandschaft genossen, aber erstens war er in Gedanken woanders und zweitens hatte Petrus sich entschieden, ein tristes graues Tuch über Wald und Flur zu werfen und es hin und wieder so stark regnen zu lassen, dass Boyd keine zehn Meter weit sehen konnte.
Bis auf die Knochen durchnässt, kam er schließlich auf Haverston an, wo ihn der Butler umgehend darüber informierte, dass die Familie noch beim Abendessen zusammensaß. Boyd bat darum, erst nach oben geführt zu werden, um sich abzutrocknen und umzuziehen, und trug dem Butler auf, keine Silbe über seine Ankunft zu verlieren. Er war sich nämlich sicher, dass Katey Tyler sich umgehend aus dem Staub machte, sobald
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