Malory
oder hochgeschaut hast«, unterbrach er sie barsch, um ihre Erinnerung ein wenig aufzufrischen. »Danach hat dir deine Verkleidung nichts mehr gebracht...«
»Weil ich als Mann durchgehen wollte. Das war nicht sehr klug, nicht mit meinem Gesicht. Das weiß ich jetzt auch.«
Schnell sprach sie weiter, damit Mac ihr nicht wieder ins Wort fallen konnte. »Ich weiß schon, worauf du hinaus-willst, aber das hier ist ganz etwas anderes. Das weißt du ganz genau. Ein Bursche kann ohne weiteres ein schönes Gesicht haben. Das gibt es oft. Und mit meiner Größe, den schmalen Hüften, meiner Stimme ...« ein kurzer Blick auf ih-re Brüste ließ sie stocken, »...und mit einer geeigneten Korsage, gehe ich ohne Schwierigkeiten als neun- oder zehnjähriger Knabe durch.«
Mac schüttelte abfällig den Kopf über ihre blauäugigen Vorstellungen. »Dein kluges Köpfchen wird dich verraten.«
»Also gut, dann bin ich halt ein blitzgescheites, zwölfjähriges Kerlchen, das nur ein bißchen klein geraten ist.« Ernsthaft fügte sie noch hinzu: »Ich schaffe das schon, Mac, wirklich. Wenn du mir das nicht zutrauen würdest, dann hättest du mir doch gar nichts von diesem Schiff erzählt.«
»Ich muß tatsächlich verrückt gewesen sein, das überhaupt zu erwähnen. Aber wir beide wissen genau, wer an dem ganzen Desaster schuld ist!«
»Nein, nein«, tadelte sie grinsend, »ich bin nur ein unschuldiges, kleines Fräulein - und bald ein kleiner unschuldiger Bursche. Was ist dann daran schon so kompliziert?«
Auch sein ärgerliches Gebrumm konnte Georgina nicht aus der Ruhe bringen. »Betrachte das Ganze doch einfach mal von der anderen Seite. Je früher ich nach Hause komme, desto schneller bist du mich los.«
Macs Brummeln ging jetzt in ein Raunzen über. »Darum geht es doch gar nich'. Wie willst du denn die Maskerade solange durchhalten? Die Reise wird mindestens vier bis sechs Wochen dauern. Und das ist eine verflucht lange Zeit, wenn man bedenkt, daß du dir zum Beispiel immer stille Örtchen suchen mußt, wenn die Natur ihr Recht fordert. Du kannst deinen Bedürfnissen nicht so einfach freien Lauf lassen, wie die Männer. Die brauchen sich bloß mit dem Wind an die Reeling zu stellen und die Hosen herunterzulassen ...«
»Aber Mac!« Georgina wurde knallrot, obwohl sie bei ihren fünf Brüdern schon mehr geheimnisvolle Dinge gesehen und gehört hatte, als es sich für ein junges Fräulein geziemt hätte. »Ich hab' ja nicht behauptet, daß es überhaupt keine Schwierigkeiten geben würde, aber mir wird schon was passendes einfallen, darauf kannst du Gift nehmen. Im Unterschied zu vielen anderen Mädchen kenne ich mich nämlich auf Schiffen aus, und da gibt es so ein paar Ecken, die die Seeleute für gewöhnlich meiden wie die Pest. Und wenn es ein Frachtraum voller Ratten sein muß, ich finde schon mein verschwiegenes Örtchen. Außerdem, was soll schon Großartiges passieren, wenn mich jemand entlarvt. Glaubst du im Ernst, die werfen mich auf hoher See den Haien zum Fräße vor? Ganz bestimmt nicht. Die werden mich allerhöchstens einsperren, bis sie den nächsten Hafen angelaufen haben und mich dann mit einem Tritt in den Hintern von Bord be-fördern. Und das hätte ich dann sogar verdient, wenn ich so ungeschickt war, mich erwischen zu lassen.«
In dem Stil ging es noch eine ganze Weile zwischen den beiden hin und her, bis Mac schließlich die Waffen streckte und seufzte. »In Ordnung, aber vorher will ich noch alles versuchen, daß du um die Arbeit 'rumkommst. Ich werde ihnen den Vorschlag unterbreiten, ohne Sold für sie zu arbeiten, und ihnen erzählen, du seist mein kleiner Bruder, der mich begleitet.«
Fragend hob Georgina eine samtene Augenbraue und lä-
chelte. »Ich, dein Bruder? Ohne den schottischen Slang?«
»Stiefbruder meinetwegen«, räumte er murrend ein. »Wir sind eben getrennt aufgewachsen, das erklärt auch den Altersunterschied zwischen uns.«
»Aber du sagtest doch, daß sie einen Schiffsjungen suchen?
Die werden bestimmt darauf bestehen. Ich weiß von meinen Brüdern, die würden niemals ohne einen Schiffsjungen fahren.«
»Ich sagte, ich will's probieren. Noch haben sie den ganzen Tag Zeit, sich einen anderen Burschen zu suchen.«
»Ich hoffe, das werden sie nicht tun«, entgegnete Georgina energisch. »Lieber arbeite ich mir auf der Überfahrt den Buckel krumm, anstatt den ganzen Tag tatenlos herumzusit-zen und den kleinen Bruder zu mimen. Und komm ja nicht auf die glorreiche Idee, mich
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