Malory
aufgerichtet und funkelte sie derart finster an, daß sie jeden Versuch aufzustehen freiwillig aufgab. Es hätte sowieso wenig Zweck gehabt, denn er saß sprungbereit zwischen ihr und der Tür und seine Miene verdüsterte sich zusehends.
Mein Gott, das Ganze ist absolut lächerlich, schoß es ihr durch den Kopf, während sie sich langsam auf die Seite drehte und ihn ebenfalls anfunkelte. Zähneknirschend schluckte sie die Wut, die in ihrer Brust kochte, hinunter und flüsterte dann mit zusammengebissenen Zähnen: »Das ist nicht nötig, Kapitän, ich fühle mich schon viel besser.«
»Ich bestimme, wann du dich besser fühlst«, donnerte er despotisch und lehnte sich befriedigt über die Wirkung seiner Worte in den Sessel zurück. »Du bist noch immer weiß wie die Wand, Kleiner, und bleibst liegen.«
Ihre Wangen begannen vor unterdrückter Wut zu glühen.
Sitzt da wie ein verwöhnter Lord, dachte sie - und wußte nicht, wie recht sie damit hatte -, der in seinem ganzen Leben noch keinen Finger krumm gemacht hat. Sollte sie keinen anderen Ausweg finden und die kommenden Wochen auf diesem Schiff schuften müssen - dann Gnade ihr Gott.
Allein der Gedanke daran war unerträglich. Aber welche Möglichkeiten blieben ihr schon, unter der Maske eines zwölfjährigen Schiffsjungen gegen den Kapitän aufzubegeh-ren. Selbst die Kabine zu verlassen war im Augenblick un-möglich.
Widerstandslos fügte sie sich ins Unvermeidliche und versuchte zunächst einmal herauszufinden, wo er gedachte, sie zu lassen - falls sie sich dann noch an Bord befinden sollte.
»Wegen meines Schlafplatzes, alle verfügbaren Kabinen sind besetzt...«
»Das ist richtig. Und weiter, Kleiner?«
»Ich wundere mich nur, wo ich dann meine Hängematte aufspannen soll, wenn ich auch nachts zu Ihrer Verfügung stehen muß?«
Er bedachte sie mit einem spöttischen Lachen. »Was glaubst du denn, wo du schlafen wirst?«
Es brachte sie schier zur Weißglut, daß er sich ständig auf ihre Kosten amüsierte. »Im Vorraum«, erwiderte sie ungehalten, »obwohl mir das nicht sehr ...«
»Nun halt' mal die Luft an, Kleiner, was soll denn dieses alberne Geschwätz? Du schläfst hier, wo denn sonst. Genau wie mein letzter Schiffsjunge, und alle anderen vor ihm.«
Damit hatte sie insgeheim schon gerechnet und konnte sich deshalb beherrschen, den typisch weiblichen spitzen Entrüstungsschrei loszulassen, der sie unweigerlich verraten hätte. Sie hatte schon früher von Kapitänen gehört, die ihre Kabine mit dem Jüngsten der Mannschaft teilten, einfach um sie zu beschützen. Ihr Bruder Clinton hielt das ebenfalls so, seit einer seiner Schiffsjungen einmal von drei Männern seiner Besatzung derart verprügelt wurde, daß er ernsthaft dabei verletzt wurde. Was sich damals exakt abgespielt hatte, wußte sie nicht, sie erinnerte sich nur, das Clinton so wütend war, daß er die Männer vor versammelter Mannschaft aus-peitschen ließ.
Dieser Kapitän wußte jedoch genau, daß ihr älterer Bruder mit an Bord war und sehr wohl ein Auge auf sie werfen könnte. Offensichtlich ließ er sie nicht aus Fürsorglichkeit bei sich schlafen, sondern allein zu seiner persönlichen Be-quemlichkeit. Darüber wollte sie nicht mit ihm streiten. Es hätte sowieso keinen Sinn gehabt, nachdem er ihr bereits mehrfach zu verstehen gegeben hatte, wer hier der Boß war.
Und da die anderen Jungen ebenfalls in seiner Kabine ge-nächtigt hatten ...
Eine letzte Frage konnte sie sich allerdings nicht verkneifen: »Und wo genau soll ich schlafen?«
Lässig deutete er mit dem Kopf in die Zimmerecke rechts neben der Tür: »Dort. Da ist Platz genug für deinen Seesack und was du sonst noch an Krempel dabeihast. Die Haken für die Hängematte sind schon an der Wand.«
Sie besah sich die Haken, die im passenden Abstand angebracht waren, um eine Hängematte quer aufzuspannen. Komisch, daß sie sie gestern gar nicht bemerkt hatte? Die Zimmerecke lag zwar ein gutes Stück von seinem Bett entfernt, aber das war auch das einzig Erfreuliche daran. Kein Möbelstück teilte den Raum zwischen ihren Schlafplätzen, um ihr wenigstens einen Hauch von Privatsphäre zu lassen. Die gesamte Kabineneinrichtung war entlang der Wände aufgestellt, mit Ausnahme des Eßtisches, der leider nicht hoch genug war, um sie vor seinen Blicken abzuschirmen.
»Wird das gehen, junger Mann?« erkundigte er sich überflüssigerweise, als wenn er sich wegen eines mickrigen Schiffsjungen irgendwelche Umstände machen würde.
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