Malory
sie sagte mir auch, was ich damit tun solle. Du weißt sicherlich, daß sie Anna Malorys Zofe war.«
Er grinste sie an. »Woher soll ich das wissen? Mir sagt ja keiner etwas.«
Sie errötete ein wenig. »Verzeih, ich dachte, ich hätte dir davon erzählt. Ich kann mich nur verschwommen an meine Großmutter erinnern. Ich war ja noch ein Kind, und sie starb kurz nachdem sie mir das Tagebuch gegeben hatte. Dazu kam noch, daß meine Mutter nie hier in Haverston gearbeitet hatte. Sie kannte die Malorys also kaum und hatte keinen Grund, sie mir gegen-
über zu erwähnen. Die Geschichte mit dem Geschenk geriet also noch mehr in Vergessenheit. Dann vergin-gen über zehn Jahre, bis ich hier selbst eine Stelle antrat, aber das half meinem Gedächtnis auch nicht auf die Sprünge.«
»Anna Malory hat es also deiner Großmutter anvertraut, damit sie es der Familie aushändigte?«
»Nein, sie gab es ihr, damit sie es an mich weitergeben konnte. Ich werde dir sagen, was meine Großmutter mir auftrug, vielleicht trägt das zum besseren Verständnis bei. Ich jedenfalls habe es damals nicht verstanden und verstehe es wohl auch heute nicht. Ich versuche dir so gut ich kann darüber zu berichten. Meine Groß-
mutter diente also bereits als Zofe bei Lady Malory. Eines Tages bat Lady Malory sie im Salon Platz zu nehmen und eine Tasse Tee mit ihr zu trinken. Dann erklärte sie feierlich, daß sie in nicht allzu ferner Zukunft die besten Freundinnen sein würden. Großmutter erzählte mir, daß Lady Malory zuweilen seltsame Dinge sagte, und so war es auch an jenem Tag. »Bald werden wir miteinander verwandt sein«, verkündete sie, »auch wenn wir das beide nicht erleben werden, aber es wird so kommen. Du mußt dieses Paket deiner Enkelin anvertrauen, versprich es mir.«
»Das Tagebuch?«
Molly nickte. »Lady Malory gab ihr natürlich noch weitere Anweisungen, an die ich mich nicht erinnern kann. Großmutter war in diesem Augenblick der Ansicht, Lady Malory sei nicht ganz richtig im Kopf. Du darfst nicht vergessen, daß sie zu diesem Zeitpunkt noch keine Enkelin hatte. Lady Malorys Anweisungen hingegen waren sehr genau. Großmutter sollte ihrer Enkelin, also mir, das Paket übergeben. Meine Aufgabe war es dann, es im ersten Viertel dieses Jahrhunderts am Weihnachtstag der Familie Malory auszuhändigen.
Nicht an eine bestimmte Person, sondern der ganzen Familie. Da es ein Geschenk sein sollte, war es natürlich auch als solches verpackt. Das war alles, was ich wußte. Nein, warte, da war noch etwas. Der Zeitpunkt der Aushändigung. »Übergib es den Malorys, wenn sie es am dringendsten benötigen.«
Jason lächelte verstohlen und schickte seiner Groß-
mutter ein stummes Dankeschön. Zu Molly gewandt sagte er: »Einfach unglaublich.«
»Im Gegensatz zu mir scheinst du etwas damit anfangen zu können.«
»Wenn du das Tagebuch gelesen hast, wird dir hoffentlich ein Licht aufgehen. Warum hast du eigentlich nicht ein paar Zeilen beigefügt? Dann hätten wir zumindest gewußt, für wen es bestimmt ist und von wem es kommt. Durch das Rätselraten wurde ein großes Geheimnis daraus gemacht, was die jungen Leute wiederum dazu veranlaßt hat, es noch vor Weihnachten auszupacken.«
»Ein paar Zeilen? Es war doch für euch alle bestimmt.«
Dann huschte ein verschmitztes Lächeln über ihr Gesicht. »Hätte sich dieses Geschenk als etwas völlig Un-sinniges und Belangloses entpuppt, dann hätte ich mich geschickt aus der Affäre gezogen.«
»Es ist in keiner Weise belanglos, mein Liebes. Ganz im Gegenteil. Es ist eines der kostbarsten Erbstücke, die wir besitzen. Und ich bin sehr gespannt, was du sagen wirst, wenn du es gelesen hast.«
Sie blickte ihn argwöhnisch an. »Ich habe langsam den Verdacht, daß mir nicht gefallen wird, was in dem Buch steht.«
»Gut möglich. Das hat aber nur damit zu tun, daß du mitunter furchtbar dickköpfig bist.«
»Jetzt machst du mir wirklich langsam Angst, Jason Malory«, meinte sie vorwurfsvoll.
Er grinste nur. »Kein Grund zur Beunruhigung, mein Liebes. Es kommt nur Gutes dabei heraus. Ehrenwort.«
»Fragt sich nur, für wen.«
Kapitel Dreißig
D er Morgen brach strahlend und frostig an. Die Familie hatte sich im Salon eingefunden. Es war an-heimelnd warm, und im Kamin hörte man die Holz-scheite knacken. Jeremy hatte die Kerzen am geschmückten Weihnachtsbaum angezündet. Obwohl die zusätzliche Beleuchtung nicht nötig war, begeister-ten die flackernden Lichter die Kinder; Jung und alt
Weitere Kostenlose Bücher