Maltas Geheimnis
vorne und lugte vorsichtig über die Brüstung nach unten.
Sie sah ganz weit hinten, am anderen Ende des Saales einen Lichtschein, in dem drei Männer eines der Skelette zu untersuchen schienen. Im Gang mussten weitere Personen stehen, das erkannte sie an huschenden Lichtkegeln, die allerdings nicht von normalen Taschenlampen stammen konnten. Dazu waren sie zu hell und zu breit.
»Wir sollten kein Risiko eingehen und lieber sofort von hier verschwinden«, flüsterte Raul ihr ins Ohr und zog leicht an ihrem Oberarm. »Jeder Meter, der zwischen uns und diesen Männern liegt, verlängert unser Leben.«
Hastig sammelte Alisha, trotz der Dunkelheit, ihre auf dem Boden liegenden Kleidungsstücke zusammen und stopfte sie in ihren Rucksack.
»Wohin jetzt? Es ist viel zu dunkel!«, flüsterte sie leise, während sie auf Raul zu stolperte.
»Wir können unsere Fackeln wieder anzünden. Von unten kann man den Schein des Feuers nicht sehen, dafür ist es dort zu hell. Allerdings sollten wir sie erst dann wieder auf Schulterhöhe halten, wenn wir tiefer im Gang sind. Iss und trink mal eine Kleinigkeit, damit du nicht unterzuckerst und womöglich umkippst. Ich will dich nicht den restlichen Weg tragen müssen.«
Alisha stieg die Röte ins Gesicht aber sie nickte nur und hielt Raul ihre Fackel hin. Nachdem er seine eigene und ihre angezündet hatte, marschierten sie los. Es ging wieder, wie schon am Vortag, einen schier endlosen, sich immerzu windenden Höhlengang entlang. Manchmal stieg er etwas an, manchmal fiel er leicht ab. Immer wieder bildeten sich unterschiedlich große Ausweitungen und immer häufiger war der Weg von herunter gefallenen Gesteinsmassen verschüttet. Mehrmals mussten sie kleinere Spalten oder Abgründe überspringen. Einige waren so tief, dass sie auch mit ihren Helmlampen den Grund nicht erspähen konnten. Halterungen für Fackeln gab es nur noch in größeren Höhlenbereichen. Nischen, in denen unbenutzte Fackeln lagerten, fand sie keine mehr.
Der lange, immer schlechter werdende Weg, die Bedrohung hinter ihnen und die undurchdringliche Dunkelheit außerhalb des Fackellichts ließen Alishas Mut immer weiter schwinden. Wäre nicht Raul an ihrer Seite gewesen, hätte sie längst aufgegeben. Positiv war für sie lediglich die Tatsache, dass es, je weiter sie vordrangen, merklich weniger Spinnweben gab. Sie mussten so tief unter der Erde sein, dass nicht einmal diese Spezies ein Interesse daran zu haben schien, an solch einem Ort zu leben.
Wie viel Zeit inzwischen bereits verstrichen war, hätte sie nicht sagen können, als sich hinter einem hohen Haufen aus Gesteinsbrocken eine größere Höhle auftat. Alishas Schritte hallten von den Wänden wieder, während sie begann sie zu durchqueren. Im hinteren Drittel tat sich ein breiter Spalt auf, über den scheinbar keine Brücke führte.
Ganz langsam trat sie dicht an den Rand und schaute nach unten.
Tiefe Schwärze und ein kalter Luftzug schlugen ihr entgegen. Hastig wich sie zurück.
»Oh man! Da geht’s aber tief runter. Und nirgends ist eine Brücke zu sehen. Raul, was sollen wir jetzt tun?«, rief sie über die Schulter zurück.
»Das wissen die Götter«, hörte sie Raul Stimme in einiger Entfernung heiser krächzen. »Ich sehe keine Möglichkeit, wie wir auf die andere Seite gelangen. Außer…«, er stockte,«außer wir klettern dort runter.«
Alisha überlegte. Ob Axel und Jens wohl auch den Abstieg gewählt hatten?
Schon wollte sie sich abermals mit ihrem Verdacht an Raul wenden, als ein dumpfes Stöhnen vom anderen Ende der Schlucht erklang. Es hörte sich an, als würde weit entfernt, jemand ungeschickt in ein Alphorn blasen.
»Hast du das auch gehört?«, fragte Raul überflüssigerweise.
»Ja!«, hauchte Alisha. »Was war das?«
Da erklang der Ton abermals – diesmal deutlich lauter und näher.
Fast automatisch beugte sie sich weit über den Abgrund vor und hielt ihre Fackel in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Auf der anderen Seite der Schlucht lag alles im Dunkeln. Sie konnte beim besten Willen nichts erkennen. In dem Moment, als sie die Hand an ihren Helm nahm und die Lampe einschaltete, erklang der Ton erneut – und schlagartig wurde ihr klar, was dieses Geräusch erzeugte – oder besser wer.
»Da drüben ist ein Mensch«, raunte sie Raul zu, während sich ihre Nackenhaare aufstellten. Er nickte kurz und schaltete dann ebenfalls seine Helmlampe ein.
Sie ließen beide die Lichtkegel die Höhle auf der anderen
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