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Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern

Titel: Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Pehnt
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berichteten von ersten Gluckslauten und innigen Blicken beim Trinken, als ob er sich bei mir bedanken wollte, sagte Thomas’ Mutter, die immer als Erste auf der Bank neben dem Sandkasten saß, obwohl Thomas noch jünger war als Georg und noch lange nicht im Sandkasten würde spielen können, aber das war ihr egal und den anderen Müttern auch, schließlich mussten die Babys an die frische Luft, und die Luft auf dem Spielplatz war frisch, die Bäume warfen angenehmen Schatten, es war ein Ort, an den man sich gewöhnen konnte. Die Mütter saßen auf den Bänken und ruckelten die Kinderwagen hin und her und schauten etwas ratlos auf die Bäume und die Hundeverbotsschilder, und dann fingen sie an zu reden, um sich die Zeit zu vertreiben. Auch Birgit H. redete, aber ihr fiel nicht sehr viel ein, ihre Arme und Beine waren schwer von der Müdigkeit. Wenn Thomas’ Mutter erzählte, Thomas habe seine kleine Hand um ihren Zeigefinger geschlossen und mit den Lippen rührende Schmatzlaute veranstaltet, weil es ihm sicher gut geschmeckt habe, nickte Birgit H. und versuchte, begeistert auszusehen. Georg schmatzte auch, aber nur sehr leise, und wenn die anderen Mütter in seinen Wagen schauten und sich wunderten, wie leise er sei, so unkompliziert, aber doch sehr leise, die ersten Laute seien doch das Allerschönste, dann nickte Birgit H. bloß und rückte an den Rand der Bank.

    Eines Vormittags – es war der Morgen, an dem die Nachtschwester Doris ihre Mutter anschrie, weil sie ihren Kaffee aus dem halb geöffneten Mund auf die Bettdecke rinnen ließ, Herrgott kannst du nicht einmal aufpassen, und als die Mutter sie fassungslos anschaute und anfing zu zittern, holte sie sofort in tiefer Reue den Lappen und hielt der Mutter die Hand, bis sie aufhörte mit dem Zittern, und es war auch der Morgen, an dem der Stationsarzt Dr. Monat zwei Frauen so fahrig nähte, dass sie noch Jahre später die Narben spürten –, an diesem Vormittag schrie auch Birgit H. Georg an.
    Georg lag wie immer in seinem Gitterbett und schaute nach oben, mit stillen, weit geöffneten Augen, und Birgit H. hatte wie immer schon den Kinderwagen nach unten getragen und die Salzkartoffeln für das Mittagessen aufgestellt und stand nun über ihm, Georg mein Vögelchen, sagte sie, und als er noch nicht einmal den Kopf drehte, das müsste er längst können, Thomas drehte schon seit drei Wochen den Kopf, da schrie sie plötzlich, schau mich an, verdammt noch mal, was glaubst du eigentlich, wer ich bin, und dann riss sie den Halbmond herunter und drängte ihr Gesicht in Georgs Blickfeld und schrie, na los, schau mich an. Georg begann zu wimmern, wie es seine Art war, aber Birgit H. bereute nichts. Sie ging ins Wohnzimmer, holte ihre Zigaretten aus der Schublade und rauchte, so schnell sie konnte, zwei Zigaretten bis auf den Filter herunter. Den Rauch blies sie in die frisch gewaschenen Vorhänge. Dann wusch sie sich das Gesicht mit kaltem Wasser und ging wieder zu Georg. Sie nahm ihn hoch, stellte sich mit ihm ans Fenster und sagte leise, das wird nicht wieder vorkommen. Sie schaute auf die Müllabfuhr und roch an Georgs Nacken. Er roch nach nichts.
    Seit dem Schrei hatte Birgit H. es leichter mit Georg. Sie gewöhnte sich an seine stille Art und an den Gedanken, dass Georg anders als Thomas war und auch anders als Tanja, die sich schon mit vier Monaten an den Fingern ihrer Mutter ins Sitzen hochzog, wir üben das jeden Tag, sagte die Mutter, und anders als die kleine Carina mit den vielen Haaren. Viele Haare hatte Georg auch, aber doch eher fransige, zerzauste. Sein Gesicht blieb schmal und spitz, es kann ja nicht jeder so einen kleinen Brummer haben, sagte Tanjas Mutter und kniff Tanja stolz in ihre Speckröllchen an den Handgelenken. Während Tanja, Carina und Thomas Brötchen lutschten und bald schon in Laufgeschirren die ersten Schritte taten, lag Georg auf dem Rücken und schaute nach oben. Birgit H. schaute auch nach oben in die Zweige, oder sie rauchte unter den missbilligenden Blicken der anderen Mütter eine Zigarette, die Angewohnheit hatte sie seit dem Schrei beibehalten und blies den Rauch hoch in die Luft, damit Georg den Schwaden hinterherschauen konnte.

    Rudi H. dagegen konnte mit Georg nicht warmwerden, wie er es nannte. Ich weiß nicht, sagte er, so ein kleiner stummer Fisch, und wenn er ihn auf den Arm nahm, machte

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