Man kann sich auch wortlos aneinander gewöhnen das muss gar nicht lange dauern
hatte er wenig gelogen in der ganzen Angelegenheit, verschwiegen ja, gelogen nein. Nicht dass er darauf stolz wäre, er war nur so erleichtert, noch einmal davongekommen zu sein, heute Morgen von Sehnsucht keine Spur, dafür Pläne, Ideen, Tatendrang, der über Birgit H. zusammenschlug, ohne dass sie sich hatte wappnen können. Seit Monaten war sie es gewohnt, an Rudi H. vorbeizugehen, ohne dass er sie auch nur eines Blickes gewürdigt hätte, auch Georg hatte er kaum angeschaut, und nun auf einmal sollte sie mit ihm ein Haus bauen. Sie musterte ihn, sein weiches bübisches Gesicht, das Schnurrbärtchen, das er sich hatte stehen lassen, seit Georg auf der Welt war, er hatte noch keine Falten, er sah aus wie ein Schüler, der auf dem Heimweg etwas Aufregendes gefunden hat, ein Taschenmesser vielleicht oder ein Fünfmarkstück. Sie spürte sein Drängen, seine Bitte um Absolution, wofür, wusste sie nicht, und auf einmal nahm sie über die Frühstücksteller hinweg seine Hand, die auch weich und wie immer etwas feucht war, und drückte sie.
Wir könnten eine Hängematte aufhängen, sagte sie.
8. Es sind die Vögel
Er hat eine unnatürliche Neigung zu Vögeln entwickelt, sagte Rudi H. Er sagte es sachlich und ruhig, aber der Kinderpsychologe Dr. Kolk bemerkte ein untergründiges Zittern in seiner Stimme.
Nein, so kannst du das nicht sagen, unterbrach Birgit H., wieso denn unnatürlich, er spielt eben gern mit Vögeln.
Birgit, deswegen sind wir hier.
Georg spielte an einem niedrigen Tisch still mit Holzfiguren. Dr. Kolk notierte sich etwas und bat um nähere Erläuterungen.
Ist es etwa normal, wenn ein Kind vor jeder Taube und jedem elenden Spatzen zur Salzsäule erstarrt, sagte Rudi H. Er bleibt stehen wie angewurzelt, er starrt auf die Vögel, diese gerupften Stadtvögel, am scheuÃlichsten sind doch die Tauben, richtig aufgedunsen, also da ekelt es mich wirklich. Oft hat er Brotrinden vom Frühstück dabei, in den Hosentaschen, verstehen Sie, das darf er gar nicht, meine Frau kommt mit dem Waschen nicht hinterher.
Das macht mir doch gar nichts, rief Birgit H., hab ich mich etwa beschwert. Die wirft er ihnen hin, fuhr Rudi H. fort, aber nicht einfach so, nein, er legt sie mit einer Andacht auf den Boden, das sollten Sie sehen, und wenn sie sich dann den Bauch vollschlagen, die picken ja sofort los wie Maschinen, dann geht ein Lächeln über sein Gesicht, ein ganz merkwürdiges, ich weià gar nicht, wie ich es Ihnen beschreiben soll.
Herr H., sagte Dr. Kolk, Sie beschreiben das alles sehr gut, aber noch sehe ich Ihr Problem nicht.
Es ist nicht mein Problem, rief Rudi H., dieser Junge tut nichts von dem, was seine Freunde machen, was heiÃt Freunde, er hat noch nicht einmal welche. Die kicken und rennen, da geht es schon einmal rau zu, die toben sich ordentlich aus. Ich sage zu ihm, er soll doch mal hingehen und mitmachen, aber da ist nichts zu machen. Die fragen ihn schon gar nicht mehr.
Haben Sie denn Freunde, fragte Dr. Kolk.
Entschuldigung, rief Rudi H., um wen geht es hier eigentlich. Wenn ich einmal ausreden könnte.
Georg tobt sich doch auch aus, sagte Birgit H., jedenfalls ist er den ganzen Tag drauÃen.
Und sitzt da wie ein Klotz, sagt nichts, hört nichts und starrt den Spatzen hinterher, rief Rudi H. Neulich war einer gestorben, der lag da in der Grünanlage, das Theater hätten Sie sehen müssen. Der war schon steif, Krallen nach oben, sicher auch giftig, die sondern doch dieses Leichengift ab. Georg hat sich daneben gehockt und stundenlang vor sich hingemurmelt, und dann hat er ihn mit ausgestreckten Händen vor sich hergetragen zum Gebüsch, und was er da gemacht hat, konnte ich nicht sehen, ich weià nur, dass es ewig gedauert hat, und als ich darauf bestehen musste, dass wir nach Hause gehen, kam er tränenüberströmt aus den Brennnesseln, ohne Vogel. Die Stelle auf dem Weg, wo er lag, hat er noch mit Löwenzahn geschmückt. Dr. Kolk lächelte und sah zu Georg hinüber, der die Holzfiguren zusammengeschoben hatte und auf seine Hände sah.
Möchtest du zu uns herüberkommen, sagte Dr. Kolk, aber Georg schüttelte den Kopf.
Ich weià nicht, sagte Birgit H., ich finde das alles nicht schlimm, nur das mit den Freunden macht mir doch Sorgen, ich meine, kann ein Kind immer allein sein. Er spricht auch sehr wenig,
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