Man lebt nur ewig
ich, dass das Festival seit unserem Besuch stete Fortschritte gemacht hatte. Wir waren uns alle einig, dass unser Parkplatz ideal gelegen war, an einer Stelle, wo der Mulchweg auf die Ufermauer traf, bevor er nach Norden abbog und an diversen Buden vorbei zu der bereits halb aufgeblasenen Bühne von Chien-Lungs chi- nesischen Akrobaten führte.
Cole parkte das Wohnmobil südlich des Wegs, parallel zur Mauer, und wir begannen, den Anhänger zu entladen. Direkt neben unserer Parzelle befand sich ein Barbecue- stand, und zwar so dicht, dass wir, wenn wir uns nur weit genug zur Seite beugten, gegen einen Grill stoßen würden. Aber das bedeutete auch, dass für eine Außenbeleuchtung gesorgt war. Ein paar grauhaarige Herren mit Baseballkap- pen und fleckigen Schürzen hatten bereits lange, rosafarbe- ne Lichterketten installiert. Nun waren sie gerade dabei, einige grün gestrichene Picknicktische aufzubauen.
Aber während wir Stangen, Zeltbahnen (die Pete wahr- scheinlich irgendeinem Erweckungsprediger aus den Rip- pen geleiert hatte), noch mehr Stangen, tonnenweise Holz- latten und keinerlei Aufbauanweisung vom Anhänger zu unserer Parzelle schleppten, wurde deutlich, dass wir trotzdem ausreichend Platz für unser Zelt haben würden. Zumindest, wenn einer von uns herausfinden konnte, wie man das verdammte Ding zusammenbaute.
Das Gemecker hatte bereits begonnen. Cole nahm zwei Stangen und steckte sie zusammen.
»Cole!«, fauchte Bergman. »Man muss sie erst mal alle auf einen Haufen legen, nur so weiß man, was man über- haupt alles hat!«
»Wir haben Stangen und Zeltbahnen, alter Freund. Man steckt das schmale Ende in das breite Ende.« Er demons- trierte es an einem weiteren Stangenpaar. »Das ist fast schon magisch, wie die zusammenpassen.«
Bergman schaute zu Vayl. »Sag du es ihm.«
Cole grinste seinen »Rivalen« höhnisch an. »Du solltest inzwischen ja wissen, wie man ein Zelt errichtet, Vayl.«
Cassandra ergriff als Erste die Flucht. »Ich muss noch etwas recherchieren. Der Mann mit dem komischen Ge- sicht, ihr wisst schon«, murmelte sie und verschwand im Wohnmobil.
Die Frau ist einfach brillant. Ich drehte mich um und folgte ihr.
»Wo willst du hin?«, fragte Vayl.
Schnell, du brauchst eine Spitzenausrede, die er widerstandslos schluckt. Aha! »Üben. Im Gegensatz zu euch Jungs habe ich mein spezielles Talent nicht mehr ange- wendet, seit Großmama May mich für den Bauchtanz- kurs angemeldet hat, und da war ich fünfzehn.« Und übrigens, warum habe ich dem überhaupt zugestimmt? Oder beschlossen, es gerne zu machen? Egal, er schluckt es. Eigentlich scheint ihm der Gedanke sogar zu gefallen. Glühen seine Augen etwa? Und ist das, was Cole da macht, ein Hecheln? Genau deswegen wollte ich von Anfang an nicht tanzen! »Wie auch immer«, fuhr ich fort. »Ich suche mir jetzt eine ruhige Ecke, wo mich niemand sehen und auslachen kann.«
»Aha«, meinte Vayl nur. Er kam ein paar Schritte auf
mich zu, verhedderte sich hoffnungslos in einer Plane und blieb stehen. Aber das hinderte seine Augen nicht daran, auf Wanderschaft zu gehen. »Glaub mir, Jasmine, nie- mand, der dich tanzen sieht, wird auch nur im Traum daran denken zu lachen.«
»Ich könnte dich begleiten«, bot Cole an. »Du weißt schon, dir ein paar Tipps geben. Die Kamera bedienen. Oder dir die Hüften einölen, falls sie rostig werden.« Ich konnte nicht anders, ich musste lachen. Es war ein- fach die gesamte Kombination aus Vayl, der sich auf- bauschte wie ein Stachelschwein, Cole, der anzüglich mit den Brauen wackelte, und Bergman, der verstohlen die Stangen so ordnete, wie er sie haben wollte.
»Ich bin da drüben«, sagte ich und zeigte nach Westen, wo man am Ende der Ufermauer gerade noch einen wei- ßen Sandstreifen erkennen konnte, bevor eine Reihe ver- lassener Piers auftauchte. »Allein.«
Ich blieb für ungefähr eine Stunde allein. Dann kam dieses Pärchen vorbei, das genug Lärm machte, dass ich mich nicht vor ihnen blamierte. Ich konnte sie nicht sehr gut erkennen. Musste es aber auch nicht. Sie hielten Händchen. Küssten sich bei ungefähr jedem fünften Schritt. Total verliebt. Und plötzlich unterbrach mein Ge- hirn die Energiezufuhr zu meinen Knien.
Ich klappte zusammen und beobachtete wie ein beses- sener Fan, wie die Liebenden vor mir durch den Sand wanderten. Es war ihr Gelächter, das mich vom Zuschau- er zum Mitwirkenden werden ließ. Plötzlich war ich Teil des Paares und durchlebte einen Moment, an den zu erin-
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