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Man lebt nur ewig

Titel: Man lebt nur ewig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Rardin Charlotte Lungstrass
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hätte ich mir irgendetwas ausdenken können. Aber wahrscheinlich hätte ich einfach den Dienst quittiert. Ich stopfte die Sachen, die mir die Rezeptionistin gege- ben hatte, in meine Gesäßtasche und ging hinaus. Ich musste etwas tun. Etwas, das mich zu mir selbst zurück- führte. Also rief ich meine Schwester an.
    »Evie?«
    »Oh, Jaz, ich bin ja so froh, dass du anrufst.«
    »Du klingst müde.«
    »Bin ich auch. E. J. hat fast den ganzen Tag geschrien. Das ist doch nicht normal, oder?«
    Zur Hölle, nein! Allerdings bin ich die Letzte, die das beurteilen konnte. »Hast du den Kinderarzt angerufen?«
    »Nein. Der wird doch sowieso wieder sagen, es sei eine Kolik.« Ihre Stimme wurde zittrig. »Ich habe einfach das Gefühl, dass ich eine schreckliche Mutter bin, wenn ich sie nicht dazu bringen kann, nicht mehr zu weinen!«
    Das war doch mal etwas, womit ich umgehen konnte. »Evie, du bist eine wundervolle Mutter. Und ich spreche aus Erfahrung. Ich habe dich in Aktion erlebt. Außerdem hatte ich eine furchtbare Mutter. Also weiß ich, wovon ich rede. Du bist die Beste. Es ist nicht einfach für euch mit einem Kind, das ständig schreit. Wahrscheinlich macht dich der Schlafmangel ein bisschen verrückt. Ich bin immer noch schlecht drauf, und ich bin jetzt wie lange weg, ein paar Tage? Aber hör mir jetzt gut zu: Du wirst das schaffen, okay?«
    Lange Pause. »O-kay.«
    »Habe ich etwas Falsches gesagt?«
    »Na ja … normalerweise sagst du mir immer, was ich tun soll. Dann mache ich es so, und alles wird besser.«
    »Das war, bevor du angefangen hast, außerhalb meiner Liga zu spielen«, sagte ich und lächelte, als ich ihr leises
Lachen hörte. »Du musst einfach auf dich selbst vertrau- en, okay? Du und Tim, ihr kennt E. J. besser als irgend- jemand sonst, inklusive Kinderarzt. Und schlaf ein biss- chen, ja? Sonst kriegst du Ringe unter den Augen, mit denen du Hula-Hoop spielen kannst.«
    »Okay. Und wie läuft es bei dir?«
    Lass uns doch mal sehen: Ich bin der Meinung, mein vampirischer Boss sollte für seinen eigenen Kalender posieren, und ich habe irre Aussetzer. Ansonsten … »Mir geht’s gut. Ruf mich an, wenn du kannst, okay?«
    »Okay. Hab dich lieb.«
    »Hab dich auch lieb.«
    Wieder etwas ausgeglichener, jetzt, wo ich mit dem sta- bilsten Menschen gesprochen hatte, den ich kannte, ging ich um das Gebäude herum, dessen Rückseite auf das Fes- tivalgelände hinausging. Während ich mich zwischen den Autos auf dem Parkplatz hindurchschlängelte, wurde ich durch ein grünliches Leuchten hinter einer Art Zaun, der einen großen Müllcontainer verbarg, von meinem inneren Zähneknirschen abgelenkt. Es passte nicht zum weißen Schein der Parkplatzbeleuchtung. Ich zog Kummer und näherte mich in einem Bogen. Das Leuchten wechselte die Farbe, von Tannengrün zu Limonengrün.
    Ich schloss für ein paar Sekunden die Augen und akti- vierte so die Nachtsicht-Kontaktlinsen, die Bergman für mich entwickelt hatte. Zusammen mit meiner durch das Gespür verbesserten Sehkraft, sorgten sie dafür, dass ich neben dem Zaun eine grün-goldene Gestalt erkennen konnte. Sie stand mit dem Gesicht zu mir, beugte sich aber alle paar Sekunden vor und war völlig auf etwas kon- zentriert, das zu ihren Füßen lag. Seltsamerweise war sie von einer Art schwarzem Rahmen umgeben, als hätte je- mand ihre Konturen mit einem Filzstift nachgezogen.

    Ich schob mich an den dunklen Schatten geparkter Au- tos vorbei und spähte alle paar Schritte zu der Szene hi- nüber, in dem Versuch, das Ding zu erkennen, das auf dem Boden lag und von dem einerseits das grüne Leuch- ten ausging und das andererseits das Interesse der um- rahmten Gestalt zu fesseln schien. Als ich endlich einen Blick darauf werfen konnte, musste ich mir auf die Lippe beißen, um nicht laut zu keuchen. Es war die Leiche des Wachmanns, des Kollegen des zweigesichtigen Mannes. Sein Gesicht, ein Abbild seiner letzten, gequälten Augen- blicke, warnte mich davor, näher hinzusehen. Aber das musste ich. Eine der unangenehmeren Seiten meines Jobs.
    Okay, du hast jetzt genug Zeit geschunden. Hier hat wahrscheinlich ein Mord stattgefunden, und da ist ein möglicher Verdächtiger. Jetzt schau dir schon die Leiche an.
    Überall Blut, als hätte jemand eine Quelle angezapft. Freiliegende Rippen. Dunkle, glänzende Organe. Jemand hatte dem Kerl den Brustkorb aufgeschlitzt, vom Hals bis zum Nabel! Und dieser Geruch, verdammt, daran ge- wöhnt man sich nie. Gott sei Dank waren wir an der

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