Man lebt nur ewig
noch bewaffnet.
Im Gegensatz zu Vayl benutzte ich normalerweise kei- ne Klingen. Wenn ich erst einmal so nah an einer Zielper son dran bin, ist grundsätzlich etwas schiefgegangen. Im Verteidigungsfall gilt das genauso. Trotzdem habe ich im- mer eine bei mir. Mein Zugeständnis an die Weisheit, dass man nie zu viele Waffen haben kann.
Mein Backup-Plan war als Machete zur Welt gekom- men. Sie war dem ersten meiner militärischen Vorfahren, Samuel Parks, ausgehändigt worden, bevor er 1917 in den Krieg zog. Nachdem die hässliche alte Klinge seit dieser Zeit stets vom Vater an den Sohn weitergegeben worden war, hatte David den Spaß daran verloren, als Mom sie nach Dad warf, als sie ihn mit ihrer besten Freundin er- wischte. Da sie bei dieser Gelegenheit aus dem Schlafzim- merfenster geflogen war, hatte ich sie am nächsten Mor- gen im Vorgarten gefunden. Und so kam sie zu mir.
Ich trage die Machete inklusive Scheide in einer speziel- len Tasche, die meine Schneiderin - die ich gerne Miss Leck-mich-am-Arsch nenne - so entworfen hat, dass sie fast unsichtbar ist. Ich nenne sie so, weil das stets ihre erste Reaktion ist, wenn ich sie anrufe und ihr sage: »Rate mal, Sherry Lynn. Ich habe mir gerade eine neue Hose gekauft!«
Ich griff in die Tasche, packte den kunstvoll verborge-
nen Griff und zog. Eine Klinge, so lang wie mein Schien bein, glitt aus der Scheide. Obwohl sie ursprünglich eher ein Allroundwerkzeug gewesen war, hatte Bergman die Machete an meine Bedürfnisse angepasst. Jetzt war sie scharf genug, um Metall zu schneiden oder, was noch bes- ser war, mein Leben zu retten.
Die Kreatur umkreiste mich und schien von Ur-ur- Großvaters Messer wesentlich weniger eingeschüchtert zu sein, als ich gehofft hatte. Tja, scheiß drauf. Ich stürm- te auf ihn zu, schrie wie eine durchgedrehte Ballettmutter und schwenkte die Klinge wie ein Samurai. Ich täusch- te links an, rechts, links, und beobachtete, wie sich der Schild immer weiter öffnete. Er konnte nicht mit den ruckartigen Kopfbewegungen mithalten, durch die das Monster vermeiden wollte, dass seine Kehle aufgeschlitzt würde. Noch eine Finte, dann sprang ich vor und ver- senkte meine Klinge in einer Lücke, die durch die hek- tischen Bewegungen entstanden war.
Er starb sofort.
Ich zog meine Waffe aus dem leblosen Körper und wischte sie an der gestohlenen Uniform ab. Froh, dass die Machete mich gerettet hatte. Traurig, dass ein und diesel- be Familie sie seit fast hundert Jahren dazu benutzte, Blut fließen zu lassen. Wir scheinen ständig Killer zu zeugen, keine Frage. Ich ertappte mich bei der Hoffnung, dass E. J. diese Kette durchbrechen würde. Vielleicht würde ich sie anrufen und ihr das vorschlagen, wenn ich einmal eine freie Minute hatte. Es machte nichts, dass sie noch nicht einmal einen Monat alt war und die ganze Zeit über nur versuchen würde, den Hörer anzunagen. Es ist nie zu früh, um seinen Kindern eine Gehirnwäsche zu verpas- sen.
5
A ls ich mich über die Leiche beugte, um herauszufinden, was ich da gerade getötet hatte, trat Vayl aus den Schatten, unsere Crew dicht auf seinen Fersen. Über- rascht blickte ich auf. »Ich habe gespürt, dass du vielleicht Hilfe brauchen könntest«, erklärte Vayl.
»Wirklich?« Oh. »Klar.« Seit er mein Blut getrunken hatte, konnte Vayl spüren, wenn ich starke Gefühlsauf- wallungen hatte, und das anscheinend auch aus einiger Entfernung. Ich dachte zumindest, er hätte das gemeint, bis er mit dem Kopf auf den Ring an meinem Finger deu- tete.
»Cirilai hat mir vermittelt, dass du in einen Kampf ver- wickelt bist.«
»Er hat uns alle hierhergescheucht, und dann hat er nicht zugelassen, dass wir dir helfen«, erklärte Cole ent- schuldigend. »Meinte, wir würden dich nur zum falschen Zeitpunkt ablenken. Aber wir haben dir den Rücken frei- gehalten!«
Mit einem Nicken zeigte ich ihm meine Dankbarkeit.
Bergman ging neben mir in die Hocke und schob mit dem Ende eines Kugelschreibers, den er immer in der Hemdtasche trug, das Lid des dritten Auges im Gesicht des Toten nach oben. »Was zum Teufel ist das?«, überleg- te er laut.
»Ich habe keine Ahnung, aber lass dieses Auge geöff- net«, bat ich ihn. Die Farbe wich daraus, und die Seele des
ermordeten Wachmannes begann wieder zu strahlen. Bald war sie wieder so dunkelgrün wie zu dem Zeitpunkt, als ihr Leuchten meine Aufmerksamkeit erregt hatte. Einen angespannten Moment lang zitterte sie, dann teilte sie sich in Hunderte kleiner Stücke, die in
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