Man lebt nur ewig
geriet auf dem Bordstein ins Wanken, ein Fuß in der Luft über der Straße, das andere Bein angespannt, im Ver- such, meinen aus dem Gleichgewicht geratenen Körper zu stabilisieren. Ich griff nach hinten, Cole packte meine Hand und riss mich so heftig zurück, dass ich stolperte und fiel. Als meine Knie auf dem Asphalt aufschlugen, wurde ich endgültig wach.
Cole half mir hoch. Hinter mir rauschte der Verkehr vorbei. Die Sonne brannte auf meinen Kopf, den ich prompt an Coles Schulter legte. Oh bitte, nein, nicht schon wieder.
»Es tut mir so leid, Jasmine«, sagte Cole und strich mir über die Haare. »Ich bin nur für eine Sekunde rausge- gangen. Die chinesische Mama ist vorbeigekommen, um Tickets zu tauschen, unsere Show gegen ihre - erinnerst du dich noch an die Abmachung? Und dann hat mich das Baby abgelenkt.«
Das wäre mir auch passiert. Es war fast so süß wie E. J. »Wie spät ist es?«, wollte ich wissen. Ich trug zwar noch die Uhr, die Bergman für mich gemacht hatte, aber mein Arm schien schwerer zu sein als eine Kanone.
»Kurz vor zwei.«
»So müde.«
»Komm.« Er legte mir den Arm um die Schultern und führte mich zurück zur Bucht. »Ich suche dir etwas mit hoch dosiertem Koffein.«
Mein Kopf tat weh. Und mein Herz … besser nicht genauer hinsehen. »Ich glaube, ich brauche etwas Stärke- res als Kaffee.«
»Und was wäre das?«
»Schokolade.«
Cole gab mir einen brüderlichen Kuss auf die Wange, der mich fast zum Heulen brachte. »Wie du willst, Chef.« Chef. Er hat mich Chef genannt. Oh Jesus, wie soll ich dieses Team beschützen, wenn sie es kaum schaffen, mich vor mir selbst zu beschützen? Keine Antwort. Zumindest nicht von Jesus. Aber ich hatte ja noch eine andere Lei- tung.
Raoul.
Doch wenn ich nur an ihn dachte, kauerte sich mein gesamtes Bewusstsein zusammen. Raoul gehörte zu mei- nen am besten verdrängten Erinnerungen. Er hatte mich von den Toten auferstehen lassen. Zweimal. Seine Füh- rung, auch wenn sie überlebenswichtig gewesen war, überwältigte meine Sinne. Ich konnte nicht sagen, was für ein Wesen er war. Nur, dass er im Leben ein Krieger ge- wesen und seine Gabe, Befehle zu erteilen, ihm ins Nach- leben gefolgt war, wo er seine Aktivitäten von einem Ort aus steuerte, der einer Suite im Mirage verdächtig ähnlich sah. Aber dort konnte ich nicht hin. Denn ich hatte den starken Verdacht, was auch immer ich dort entdecken würde, könnte verstörender sein als alles, was ich bisher erlebt hatte.
13
C ole betrat vor mir das Wohnmobil. Sobald er sich mit diesem Oh-Scheiße - Blick zu mir umdrehte, wusste ich, dass im Schloss der Arschtreter nicht alles so war, wie es sein sollte. Dann hörte ich das Schluchzen, das von dem Kissen, das wir alle sehr, sehr, sehr - ich biss mich auf die Wange, um den inneren Singsang zu stoppen - bald gerei- nigt sehen wollten, nicht ganz gedämpft wurde.
Ich ging hinein und schloss die Tür. Cassandra saß auf Ashley und trocknete sich hektisch die Tränen, wobei sie sich weigerte, mir in die Augen zu sehen. »Es geht mir gut«, begann ich. »Kein Grund zur Sorge. Cole hat mich rechtzeitig eingefangen.«
»Oh, das ist es nicht«, erwiderte sie. Sobald sie die Wor- te ausgesprochen hörte, sah sie mich entschuldigend an. »Ich habe nicht gemeint … natürlich war ich besorgt …«
»Mach dir keinen Stress.« Ich täuschte ein Lächeln vor und ließ mich auf Mary-Kate fallen. »Ich weiß doch, dass du nicht so schnell anfängst zu heulen.«
»Nein, eigentlich kann ich mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal …« Sie wischte sich noch mehr Tränen von ihrer reinen, dunklen Haut und trocknete sich dann die Finger an ihrem orangefarbenen Spitzenrock ab. Dazu trug sie passende orangefarbene Wildlederstiefel und hatte das Ganze mit einem fluffigen weißen Shirt abgerundet, in dem jeder andere wie ein Pudel ausgesehen hätte. Aber nicht Cassandra. Sogar mitten in einem emo-
tionalen Wirbelsturm behielt sie diese unglaublich gra- ziöse Art, dieses selbstbewusste Ich Bin , das dir sagte, dass sie niemals deine Zeit verschwenden oder dich auf den falschen Weg führen würde.
Cole war direkt zum Kühlschrank gegangen, wühlte darin herum und kam schließlich mit einer Tafel Scho- kolade zurück, die so lang war wie mein Unterarm. Er brachte sie mir mit einem so triumphierenden Blick, dass ich lachen musste. Ich bedeutete ihm, sich neben mich zu setzen, und teilte dann die Schokolade unter uns auf. Bergman schlief immer noch
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