Man lebt nur ewig
würden. Da niemand sonderlich ent- spannt wirkte, schätzte ich, dass unser Publikum eher an die zweihundert Menschen umfasste.
Kein Zweifel , dachte ich, als ich an der Seite der Bühne wartete, mein Rock wird niemals halten. Oh Gott, habe ich daran gedacht, Unterwäsche anzuziehen? Ich über- prüfte es. Puh! Außerdem ist der Rock ziemlich fest gebunden. Oh, verdammt. Was ist mit dem Oberteil? An diesem verdammten Ding ist nichts dran ! Was ist, wenn ich von der Bühne falle? Wenn ich einfach auf die Nase falle?
Vayl, dieser Komiker, hatte mich dazu gezwungen. Ich begann, meine Rache zu planen. Wenn er das nächste Mal schlief, würde ich mich in sein Zelt schleichen und ihm mit einem Lippenstift einen Schnurrbart ins Gesicht malen. Ich würde darauf bestehen, dass er mit mir shoppen ging, und ihn dann neben einem Wühltisch mit Höschen stehen las- sen, während ich Klamotten anprobierte. Ich würde ihn zu Evies erstem Treffen der Elternvertretung mitnehmen und ihn zum Keks- und Punschdienst eintragen.
Hey, Cole ist gar kein so schlechter Jongleur. Kegel, Ringe, ein paar Dosen und Tennisbälle. Wusste gar nicht, dass er das kann. Was? Er ist schon fertig? Heilige Scheiße, jetzt bin ich dran!
Bergman stellte von der allgemeinen Beleuchtung auf einen einzelnen Scheinwerfer um und drehte die Mu- sik auf. Ich wirbelte auf die Bühne. Die Menge begrüßte mich mit einem lauten, anhaltenden Applaus. Jetzt, wo ich mich nicht länger hinter dem Vorhang verstecken und Zwangsvorstellungen entwickeln konnte, fühlte ich mich besser. Immerhin trug ich drei Tonnen Make-up, den Großteil von Cassandras Reiseschmucksortiment und sechs Schichten Röcke, unter denen ich mein Oberschen- kelholster mit einer süßen kleinen 38er versteckt hatte, die ich immer für Nicht-Hosen-Anlässe aufbewahrte. Das goldene Paillettentop fiel zwar etwas mager aus, doch durch die langen Reihen flacher Goldscheiben, die daran- genäht waren, sah er weniger wie ein Sport-BH und mehr wie ein Bankerin-will-spielen-Kostüm aus. Die langen, schwarzen Ärmel fielen bis zu den Handgelenken, und fingerlose schwarze Spitzenhandschuhe verbargen die Verbände an meinen Händen.
Und die stellten auch die eigentliche Herausforderung dar. Die Hände sind ein wichtiger Bestandteil des Bauch- tanzes und tragen viel dazu bei, dass man graziös wirkt. Trotz der Schmerzmittel tat es höllisch weh, wenn ich die korrekte Handhaltung einnahm. Doch die Konzentration darauf half mir dabei zu ignorieren, dass Chien-Lung tat- sächlich erschienen war, ganz vorne im Publikum saß und lächelnd im Takt der Musik mit dem Kopf wippte. Er trug wieder ein traditionelles chinesisches Gewand, diesmal ein schwarzes mit roter Drachenstickerei. Einmal fing ich seinen Blick ein und war sofort dankbar, dass er seine Hände in den weiten Ärmeln versteckt halten musste. Sonst hätte er wahrscheinlich mit Geldscheinen gewedelt wie ein Trauzeuge bei einer Junggesellenparty.
Lungs weibliche Begleitung, die rechts von ihm saß,
schien auch nicht allzu begeistert von seinem Interesse an der Bauchtänzerin. Sie stieß ihn immer wieder mit dem Ellbogen an, bis er sich schließlich rüberbeugte und etwas zu dem Vampir zu seiner Linken sagte, woraufhin beide leise lachten. Ich glaubte, in dem neuen Vampir einen von denjenigen wiederzuerkennen, die am Abend zuvor den Kampf abgewartet hatten, um zu sehen, wer gewinnen würde.
Auf der anderen Seite des Gangs schien der Xia-Clan den gemeinsamen Ausflug zu genießen. Mom saß auf- recht und brav da, die Hände im Schoß, doch ihre Augen hatten aufgeleuchtet, als Cole seinen Auftritt hatte. Xia Lai stand auf den muskulösen Beinen seines Vaters und hüpfte im Rhythmus der Musik auf und ab.
Schneller als erwartet ging das erste Stück zu Ende. Das nächste war wesentlich schneller. Schwieriger, ja, machte aber auch mehr Spaß. Ungefähr bei der Hälfte begann das Publikum mitzuklatschen, was mich dazu anregte, Bewe- gungen auszuprobieren, die ich schon seit Jahren nicht mehr gemacht hatte, auch wenn ich dadurch höchstwahr- scheinlich am nächsten Morgen einen gigantischen Mus- kelkater haben würde. Sie mussten mir wohl gelungen sein, denn am Schluss jubelten die Leute mir zu.
Jetzt wusste ich auch wieder, warum ich bei den Tanz- stunden immer als Erste gekommen und als Letzte ge- gangen war. Vergiss Tattoos. Wenn er richtig ausgeführt und mit offenem Herzen angenommen wird, ist Bauch- tanz die wahre Körperkunst. Und mein Publikum war
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