Man lebt nur ewig
Erwartungsvoll schaute ich zu Bergman. Der drehte einen Moment lang an diversen Knöpfen und Rädchen herum, dann sagte er: »Tut mir leid, das Equipment spinnt. Scheint so, als müsste ich ein paar Teile auswechseln, aber bis morgen ist es repariert.«
Das Lächeln, das ich ihm schenkte, war noch breiter, und diesmal war es echt. Der ichbezogene Technikfreak hatte mir gerade den schmerzenden Hintern gerettet. Es gibt doch noch Wunder!
Vayl erhob sich. »Vielen Dank, Lucille. Würden Cole und du bitte die Erfrischungen hereinbringen, während Cassandra sich vorbereitet?« Ich nickte und rannte von der Bühne, während Vayl sich an Lung wandte und sagte: »Um diese Zeit essen wir normalerweise zu Abend, und wir hoffen, dass Sie sich uns anschließen werden.«
Ich schlug den Vorhang zurück und ließ Cole herein, der mit dem Tisch bereitstand. Ich half ihm dabei, ihn über die
hinteren Stufen auf die Bühne zu tragen, wo wir ihn auf der linken Seite platzierten. Nun, da er richtig beleuchtet war, konnte ich sehen, dass die Spitzentischdecke elfenbeinfar- ben war. Yetta hatte sowohl silberne als auch gläserne Plat- ten und Schüsseln gewählt. Außerdem hatte sie weißes Porzellan mit einem Rand aus roten Rosen als Essgeschirr mitgebracht, dazu schweres Silberbesteck.
Vayl neigte den Kopf und sagte zu Lung: »Sie sind der glückliche Gewinner, Sir, also möchten wir Sie einladen, sich als Erster zu bedienen.«
»Wie reizend.« Lung ging die Stufen hinauf zum Buffet, dicht gefolgt von seinen Kumpanen. Cole und ich standen an einer Seite des Tisches und zwangen sie so, an der an- deren Seite entlangzugehen, wodurch sie näher an der gefüllten Schnecke waren. Unglücklicherweise erlaubten Lungs bandagierte Hände ihm nicht, einen Teller zu hal- ten, auch wenn er uns gegenüber nichts erwähnte. Er be- hielt sie einfach in seinen Ärmeln verborgen und ließ Li Ruolan seinen Teller füllen. Li ließ sich Zeit und arran- gierte das Essen so sorgfältig, dass es die Vorlage für ein Stillleben hätte sein können. Gott sei Dank hätte das Bild den Titel »Auftragsmord« getragen, denn die tödliche Schnecke spielte darin eindeutig die Hauptrolle.
Wir setzten uns zum Essen alle auf die Bänke, als wären wir bei einer bizarren Familienfeier. Wenn Romeo und Julia lange genug gelebt hätten, um Nachwuchs zu be- kommen, hätten die Capulets und die Montagues sich bei der ersten Geburtstagsparty des Kindes wahrscheinlich so verhalten. Niemand machte auch nur einen Versuch, Konversation zu betreiben. Unsere Seite beobachtete ihre aus den Augenwinkeln, leicht abgestoßen davon, dass Li Ruolan Lung jeden einzelnen Bissen zum Mund führte, und besorgt, weil Li alles vorzukosten schien.
Li hatte die Schnecke auf der Gabel.
Ich nahm einen kleinen Keks, den ich mit Butter und Honig bestrichen hatte, und stopfte mir das ganze Ding in den Mund. So macht man das, du Arschkriecher , dachte ich. Schieb deinem Boss das Weichtier in den Mund und lass uns weitermachen!
Cassandra kam herein, und Lis Gabel fiel auf den Teller.
Aarghh!
Lung hatte die Schnecke schon gierig gemustert. Nun schaute er auf Cassandra. Eine andere Art von Hunger blitzte in seinen Augen auf, einer, der nichts mit Schne- cken zu tun hatte. Und in diesem Moment verstand ich, warum er so von Medien besessen war. Er wollte ihr Blut. Manchmal entwickeln Vampire eine solche Fixierung. Sie verzehren sich nach einem bestimmten Typ. Junge Mäd- chen. Druiden. Kanadier. Sich von einer bestimmten Ka- tegorie zu ernähren, verschafft ihnen einen solchen Rausch, dass es zur Sucht wird. Wenn das passiert, ist es meistens extrem schwierig, sie aufzuhalten.
Li machte Anstalten, sich zu erheben, wahrscheinlich, um sich vorzustellen, doch Lung drückte ihn auf die Bank zurück. Die Tatsache, dass er seine Hand aus ihrem Ko- kon geholt hatte, machte mir klar, wie wenig ihn mögliche Zeugen im Moment interessierten.
Ich begann langsam zu schielen, während ich gleichzei- tig beobachtete, wie Li seine Gabel wieder aufnahm, und Lung Cassandra ohne zu blinzeln mit den Augen verfolg- te. Sie ging zur anderen Seite des Buffettischs, sodass sie uns gegenüberstand, und schob ein paar Köstlichkeiten auf ihren Teller.
Lis Gabel bewegte sich auf Lungs Mund zu.
Lung stand auf.
Pengfei legte ihm eine Hand auf das Gewand und mur-
melte etwas auf Chinesisch. Sie wirkte eher wütend als nervös.
Vayl und ich spannten uns an, bereit zum Sprung. Hin- ter uns stellten Cole und Bergman ihre
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