Man lebt nur ewig
uns, als müssten wir daran erinnert werden. »Ihr wisst, wer kann helfen?«
Ähhh, tja … Cole und ich sahen uns an. Er zuckte mit den Achseln, als wollte er sagen: »Deine Entscheidung.«
»Was genau sollen wir für Sie tun?«, fragte ich Shao.
»Ich glaube, meine Freunde auf diesem Boot.« Er deu- tete wieder auf die Constance Malloy . Meiner Meinung nach befanden sie sich eher unter dem Boot, da ich gese- hen hatte, wie die Generäle die Leichen beschwert hatten, bevor sie sie über Bord warfen. Doch ich ließ ihn fortfah- ren. »Vielleicht eure Polizei gehen hin, finden sie. Viel- leicht verhaften Lung?«
Vielleicht würde Lung heute Nacht sterben und wir müssten uns keine Gedanken mehr darum machen. »Ich kenne hier einen Polizisten«, sagte ich und dachte dabei an Cassandras SWAT-Kerl, Preston, und wie sehr sie und ich wollten, dass er am Leben blieb. »Ich werde morgen mit ihm reden«, versprach ich, obwohl ich wusste, dass ich es nicht tun würde. Es sei denn, es ließ sich absolut nicht vermeiden.
18
M it dem Versprechen, ihm am Morgen Bericht zu erstatten, überzeugte ich Shao, wieder ins Zelt zurück- zukehren. Lung würde hoffentlich nur denken, dass Lai nicht mehr hatte stillsitzen wollen, sodass die Abwesen- heit von Vater und Sohn keine weiteren Folgen nach sich zog. Lai würde dieser Illusion vielleicht sogar Vorschub leisten, denn das ständige Verbeugen und der Versuch, Coles Knopf zu essen, hatten ihn offensichtlich erschöpft. Als wir uns verabschiedeten, drehte er sich im Arm seines Vaters um und legte den Kopf an dessen Schulter. Er wür- de wohl bereits eingeschlafen sein, wenn sie den Eingang erreichten.
»Okay, du hattest Recht«, sagte Cole. »Ich hätte die Xias niemals auch nur dreißig Meter weit an diesen Schla- massel herankommen lassen dürfen, denn jetzt werde ich aus Sorge um sie nicht mehr schlafen können.« Er fischte ein Stück Kaugummi aus seiner Tasche und steckte es sich in den Mund.
Kaugummikauen war also von einer Raucherentwöh- nungstherapie zu einem Stressbekämpfungsritual gewor- den. So wie Karten mischen, nur weniger verrückt. Ich hängte mich bei Cole ein und konnte ihn auf einmal noch besser leiden, da wir nun noch etwas gemeinsam hat- ten. »Sie haben bereits in dem Schlamassel dringesteckt, oder hast du etwa nicht zugehört? Und, hey, wenn heute Abend alles gutgeht, werden sie kein Problem mehr ha-
ben. Wo wir gerade dabei sind, hast du das Essen be- sorgt?«
»Ja, Yetta hat es vorbeigebracht, kurz nachdem du auf die Bühne gegangen bist.«
Er brachte mich zurück ins Zelt, in den Bühnenbereich hinter dem schwarzen Vorhang, und zeigte mir einen run- den, mit einer Spitzendecke versehenen Tisch, den ich bisher nicht entdeckt hatte, da er in der dunklen Ecke stand. Ich lauschte Cassandras Stimme, während ich mir Coles Taschenlampe auslieh, um die abgedeckten Schüs- seln und Platten auszuspähen, welche die Besitzerin der »Pflanze der Sieben Meere« uns zur Verfügung gestellt hatte. Als Cassandra gerade einem Mann aus dem Publi- kum erklärte, dass seine Tochter das Stipendium bekom- men würde, für das sie sich beworben hatte, flüsterte ich Cole ins Ohr: »Welches?«
Er nahm meine Hand und leuchtete auf eine sternförmi- ge Glasplatte, die mit Weinbergschnecken beladen war. Dann richtete er den Strahl auf eine von ihnen. Sie war genau an einer der Sternspitzen platziert worden. »Das ist sie«, murmelte er. »Man erkennt sie daran, dass genau darunter ein kleines Stück von der Platte abgesprungen ist.« Ich tastete mich am Boden des Sterns entlang und fand tatsächlich die kleine Einkerbung.
Auf der anderen Seite des Vorhangs sagte Cassandra: »Ich werde langsam müde. Vielleicht noch ein Gegen- stand aus dem Publikum?«
Ich hörte ein Kratzen und das Scharren von Füßen. Dann sagte Cassandra mit kaum verhohlenem Bedauern: »Sergeant Preston?«
Oh-oh. Ich spähte durch den Vorhang, der unseren klei- nen Bereich von der Bühne trennte. Jawohl, der SWAT- Mann hatte ihr seine Seiko angeboten. Er saß mit seinem
Kind, einem niedlichen kleinen Jungen von vielleicht fünf oder sechs Jahren, der die intelligenten braunen Augen seines Vaters geerbt hatte, in der hintersten Reihe. Das heißt, Preston saß. Das Kind stand auf der Bank und wirkte völlig fasziniert. Auf einmal konnte Cassandra sich ihrer Bewunderer gar nicht mehr erwehren.
»Was wollen Sie wissen?«, fragte sie steif, während sie mit den Fingern nervös über die Uhr strich.
»Da
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