Man lebt nur zweimal
Teufel?
»Unter zehn Millionen geht es nicht«, hörte ich immer wieder. Bis ich dann verstanden habe, was sie alle meinten. Zehn Millionen Zuschauer! Im Sender. Alle haben irgendwann nur noch von der Quote gesprochen, und das Monate, bevor der Film überhaupt ausgestrahlt wurde.
Die öffentlich-rechtlichen Sender bräuchten sich um die Quote ja nicht wirklich Gedanken zu machen. Die sollten über die Qualität und so was wie den Bildungsauftrag nachdenken. Das Schielen auf die Quote hat doch sehr viel mit Eitelkeit zu tun. Denn wenn ein Film ordentlich Quote macht, dann tut man sich hinterher schwerer zu behaupten, dass es ein schlechter Film war. Auch wenn es sich um noch so eine reißerische Mittelmäßigkeit handelte.
Menschen lassen sich von Zahlen schon ziemlich gerne unterjochen, obgleich sie wissen, dass Masse nicht gleich Klasse ist und Kultur nun einmal nicht nach demokratischen Maßstäben funktioniert.
Wenn ich heute mit einem guten Konzept zu einem Entscheidungsträger gehe – zu wem auch immer: dem Senderchef, dem Chefredakteur, einem Produzenten, einem Verleihbeauftragten –, dann sieht man ihm an, dass er sich als Erstes fragt: »Wer könnte mir da an den Karren pissen, wenn ich das mache?« Nicht: »Ist das gut, wäre es vielleicht im Rahmen des Bildungsauftrages wichtig, dass man so was mal zeigt oder gar gesellschaftlich relevant?« – Nee: »Wer könnte mir da den Stuhl unterm Arsch wegziehen, wenn das nicht funktioniert?« Da muss er sich erst mal absichern. Deshalb geht der dann zum Nächsten und holt sich da das Okay. Und so weiter. Bis zehn Jahre verstrichen sind und von der Ursprungsidee nichts mehr übrig ist, weil so viele Leute ihren Senf dazugegeben haben.
Deshalb mag ich das amerikanische System auch lieber. Das ist knallhart. Da wird gefeuert, wer keinen Erfolg hat. Dann bist du weg. Da muss man Verantwortung übernehmen. Man kann das nicht wie hier von einer Instanz zur anderen schieben und dann sagen: »Aber der hat doch nicht« und »Die wollte das aber auch haben«. Und zum Schluss sind wir alle lieb und keiner ist verantwortlich. Der Erfolg hat immer Milliarden von Vätern, jeder will’s gewesen sein. Der Misserfolg ist ein Stiefkind. Ich würde mir wünschen, dass man trotzdem häufiger mal was riskiert und lieber einen Misserfolg mehr zulässt, statt die Mutigen zur Hölle zu schicken.
Dem aufmerksamen Leser mag es so erscheinen, als würde ich mir hier widersprechen, weil ich vorher das amerikanische System so gelobt habe. Auch da finde ich es natürlich nicht schön, dass man mutige Mitarbeiter gleich feuert, wenn sie einen Flop hingelegt haben. Sondern mir gefällt lediglich, dass produzierter Misserfolg nicht künstlich durch öffentliche Mittel am Leben gehalten wird.
Etwas ganz Neues werden die Öffentlich-Rechtlichen ohnehin nicht anschieben, höchstens sind sie mal so wahnsinnig mutig, ein erfolgreiches Konzept aus dem Ausland zu übernehmen. Oder sie kopieren von den Privaten. »Race-to-the-bottom« nennt man das in der Wirtschaft. Man überbietet einander gegenseitig mit mittelmäßigem Programm.
Ich glaube, dass man die Menschen erziehen kann. Es sind ja nicht nur Einsteins unterwegs, wenn man sich mal bewusst auf den Straßen und in den Cafés umschaut. Aber die Masse ist in jeder Beziehung kontrollierbar, im Guten wie im Schlechten. Und Geschmack ist etwas gruppendynamisches. Geschmack ist sozial bedingt, das ist keine konstante und angeborene Größe. Sondern hat auch immer etwas damit zu tun, zu welchem Milieu und zu welcher Gruppe man sich zugehörig fühlt, was Freunde und Freunde von Freunden gucken oder die Menschen, die man bewundert – auch wenn das dem Einzelnen selbst nicht immer bewusst sein mag. Wenn man den Leuten nur Schrott vorsetzt, niveaulosen Mist, dann gewöhnen sie sich daran. Das ist für viele, wenn sie von der Arbeit kommen, natürlich erst mal angenehmer, sich den Müll reinzuziehen. Da braucht man nicht wirklich nachzudenken. Das rauscht so niveaulos an einem vorüber. Man kann dazwischen noch bügeln, Bier holen und im Internet surfen und trotzdem sicher sein, nichts verpasst zu haben. Aber wenn es nur gute Filme, Reportagen und Dokumentationen gäbe, dann würden die Leute eben das gucken und sich daran gewöhnen und auch entdecken, dass es Spaß machen kann, den Kopf zu benutzen. Und zwar nicht nur zum Zähneputzen oder Haarekämmen.
Wenn man von klein auf an solche Programme herangeführt würde, bestünde später nicht mehr
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