Man lebt nur zweimal
ERFOLGS
Ein Freund hat mich mal gefragt, ob ich es nicht manchmal bedauere, so prominent zu sein. Ob ich nicht gar darunter leide. Weil ich nie unbefangen mit einem Unbekannten ins Gespräch kommen könnte. Ob mir diese Zufälligkeit von spontaner und überraschender Begegnung, die seiner Meinung nach beste Form der Begegnung, nicht manchmal abginge.
Einen Deutschen, der mich nicht kennt, den findet man in der Tat nicht auf Anhieb. Wenn sich mal einer nicht an meinen Namen erinnert, so kennt er doch meistens mein Gesicht. Viele Firmen machen regelmäßig Umfragen zur Bekanntheit von Film- und Fernsehschauspielern. Es gibt bestimmt ein gutes Dutzend solcher Statistiken, und immer wieder tauchen neue Erhebungen auf, die sich teilweise deutlich von denen ihrer Vorgänger unterscheiden. Wenn man den Querschnitt nähme aller Bekanntheits- und Beliebtheitsgraden, würde ich immer in den Top Ten, in vielen sogar in den Top Five sein. Der Mittelwert meines Bekanntheitsgrades dürfte bei über 90 Prozent liegen. Der meines Beliebtheitswertes liegt deutlich darunter – was übrigens bei allen Kollegen so ist. Ich glaube, der beliebteste Kollege ist Mario Adorf. Mit einem Durchschnittswert von fast 80 Prozent.
Ich werde also kaum in ein deutsches Dorf kommen können, ohne dass mich wesentlich mehr als drei Viertel der Leute sofort erkennen. Dass ich einfach mal in einer Eckkneipe jemanden treffe, der sich ohne jegliches Vorwissen auf ein Gespräch mit mir einlässt, ist daher eher unwahrscheinlich. Wenn er mich schon nicht kennt, wird ihm der Wirt bei nächster Gelegenheit einen Tipp geben.
Ich konnte den mitleidig fragenden Freund allerdings ganz schnell beruhigen: Ja. Ich finde es schön, bekannt zu sein. Denn die meisten Leute sind nett zu mir. Und sie wären vermutlich ein bisschen weniger nett, wenn ich nicht ich wäre.
Es stimmt schon: Ich könnte das nie wieder rückgängig machen, das Populärsein. Wenn ich Arzt wäre oder Mathematikprofessor, könnte ich von einem Tag auf den anderen aufhören, Arzt oder Mathematikprofessor zu sein und morgen einfach etwas völlig Neues anfangen. Als Schauspieler müsste ich schon auswandern, um auf der Straße nicht mehr erkannt zu werden. In Japan zum Beispiel kennen mich relativ wenig Menschen. Aber jeden Tag Sushi essen – meine Familie würde mir aufs Dach steigen.
Wenn mich jemand auf der Straße anspricht, kann ich also immer davon ausgehen, dass er mich kennt, während umgekehrt ich nichts über ihn weiß.
Wenn ich mal schnell etwas möchte von jemandem, dauert es meistens einen Hauch länger, weil erst eine Schrecksekunde vergehen muss, in der dann ein Satz formuliert wird wie: »Sagen Sie mal, sind Sie nicht …? Sagen Sie nix, ich komm gleich drauf!« Das passiert mit Vorliebe, wenn ich in Zeitnot bin.
Ich erinnere mich, wie ich mal in letzter Minute an einen Lufthansaschalter gespurtet kam. Ich war wahnsinnig spät dran. Die nette Dame vom Bodenpersonal lächelte mich erwartungsfroh an. Sie schien mich zu kennen, denn als sie mich sah, fing sie gleich an, etwas in ihren Computer zu tippen. Gott sei Dank, dachte ich. Eine von den Fixen und nicht so ’ne lahmarschige Trutsche. (Ich denke wirklich manchmal so, mein’s aber eigentlich ganz nett.)
»Einmal nach Köln mit der nächsten Maschine, Lufthansa Business Class«, sagte ich. Obwohl ich noch ein bisschen außer Atem war von meinem Spurt, versuchte ich, zurückzulächeln. (Das war noch in meiner unsportlichen Phase.)
»Wohin möchten sie?«, fragte sie mich, als hätte sie mich akustisch nicht verstanden.
»Einmal nach Köln mit der nächsten Maschine, Lufthansa Business Class«, wiederholte ich vorsichtshalber den ganzen Sermon nun deutlich lauter und weniger lächelnd. Die Zeit rannte mir davon.
»Wie nach Köln?«
Erwähnte ich in diesem Buch eigentlich schon, dass Geduld nicht in den Top Ten meiner größten Stärken zu finden ist? Oder dass Ungeduld mein größtes charakterliches Manko darstellt?
»Hören Sie«, sagte ich, nicht wirklich bemüht, mein Ringen um Contenance zu verbergen, »was verstehen Sie nicht an meinem Wunsch?«
»Ich würde gern wissen, wo sie hinfliegen wollen!«, sagte sie mit dieser gelassenen Ruhe, die man sehr schätzt, wenn alles in Ordnung ist und die einen in den Wahnsinn treibt, wenn man es eilig hat. Und ich hatte es eilig. Verdammt eilig. Ich versuchte mich an dieses japanische Sprichwort zu erinnern, das mir stets half, geduldiger zu sein. Aber es wollte mir nicht
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