Man lebt nur zweimal
man sich wiedererkennt. Oder ich hatte vergessen, wie geil ich Anfang der 1980er ausgesehen habe. Vor allem diese bügelfreien Polysterhemden mit Tante-Frieda-Muster und Flügelkragen, die standen mir wie keinem anderen in dieser Zeit.
Aber in diesem Fall lagen die Dinge anders. Es war ja auch eine Dokumentation und kein Spielfilm. Trotzdem kannte ich den Drehort. Ja, er kam mir regelrecht vertraut vor. Vertrauter, als mir lieb war.
»Siehst du auch, was ich sehe?«, fragte mich Viktoria, die mit großen Augen auf den Bildschirm starrte.
»Gibt’s ja nicht«, sagte ich.
Der Off-Sprecher redete über die Wackelbilder hinweg davon, dass Dieter Bohlen plane, an den Starnberger See umzuziehen. »Da wollten wir doch mal gucken, was von seiner neuen Nachbarschaft so zu halten ist«, plapperte der Sprecher, der die Sätze von sich gab, als müsste seine gute Laune Tote wieder zum Leben erwecken. RTL 3. Mindestens.
Jetzt wurde unsere Küche eingeblendet. Sehr geschmackvoll eingerichtet, mussten sie schon sagen. Na wenigstens etwas, dachte ich kurz. Hätte jetzt noch gefehlt, dass sie über die Einrichtung meckern. Ein großer, offener Tresen, links ein riesiger Küchentisch, alles großzügig mit Fenstern umrandet, Blick auf die Terrasse, in den Garten, von da aus weiter auf den See. Gemütlich, und irgendwie auch chic.
»Das gibt’s doch nicht!«, sagte ich noch mal, in leichter Abwandlung meiner vorangegangenen Äußerung. Die Kamera schwenkte zurück. Es ging rüber ins Wohnzimmer, rechts das weiße Sofa, links der mit schwarzem Marmor verzierte Sims. Auch bei der Auswahl ihrer Wandgemälde hatten die Hausbesitzer sichtlich Geschmack bewiesen, stilsicher Bewährtes mit Modernem kombiniert, befand der Sprecher. Die Kamera fing sogar das Buch ein, in dem ich zu Hause noch gelesen hatte, kurz bevor ich zum Flughafen gefahren war.
»Das ist unser Haus!«, schrie Viktoria das Offensichtliche heraus und packte meinen Arm.
»Bei den Lauterbachs ist alles schön aufgeräumt«, schwadronierte der Reporter weiter. »Da wird sich der Dieter freuen, dass er so ordentliche Nachbarn bekommt.«
»Von innen!«, ereiferte Viktoria sich. »Die haben unser Haus VON INNEN gefilmt!« Es war fast ein wenig unheimlich. Hätte nur noch gefehlt, dass Vito im Schlafanzug durchs Bild gelaufen wäre.
Aber wer hatte das Filmteam ins Haus gelassen?
Am Ende stellte sich heraus, dass es unsere Haushälterin gewesen ist, ohne jemandem Bescheid zu sagen. Das ist schon ein sehr eigenartiges Gefühl, muss ich sagen. Diese neugierigen Reporter sind einfach in unseren privaten Räumen rumgelaufen. Es war ein bisschen so, als hätte jemand von meinem Teller gegessen, während ich kurz nicht hingeguckt habe, oder hätte ein altes T-Shirt aus meiner Sporttasche gezogen und daran geschnüffelt.
Natürlich war Viktoria stinkewütend auf die Haushälterin. Vor allem, dass sie auch danach nichts gesagt hatte. Hätte Viktoria noch vor dem Ausstrahlungstermin davon erfahren, hätten wir die Sendung vielleicht verhindern können.
Ich vermute, das Team hat die Dame einfach überrannt. Diese Boulevard-Journalisten sind ja mit allen Wassern gewaschen. Die könnten alle ohne weitere Ausbildung beim britischen Geheimdienst anfangen. Vermutlich haben die ihr gesagt: »Ist alles mit den Lauterbachs abgesprochen. Wir sind auch gleich wieder weg!« Bevor sich die arme Frau versehen hatte, haben sie sich ins Haus gedrängt und die Kamera laufen lassen. Und da wollte sie wohl nicht mehr stören. Das waren Leute vom Fernsehen. Die waren doch so wichtig.
Es ist schon erstaunlich, wofür sich die Boulevardmedien alles interessieren. Da wird jeder Hund befragt, der einmal bei einem Promi an den Baum gepinkelt hat. Durchwühlte Mülleimer, lukrative Angebote für Home Stories und Paparazzi, die sich Nachbarsuiten mieten oder auf Bäume klettern, um von dort die besten Schnappschüsse zu machen. Alles schon vorgekommen. Echter Wahnsinn.
Es gab Zeiten, da belagerten sie uns täglich. Etwa im Vorfeld der Hochzeit, oder immer, wenn ein Kind geboren ist. Oder früher, wenn ich eine neue Freundin hatte oder eine alte nicht mehr. Wenn diese Menschen am Grundstückszaun lauern und einen verfolgen bis an die Wursttheke, kann man schon ein wenig paranoid werden. Da habe ich auch schon das eine oder andere Mal versucht, mich auf Samtpfötchen davonzuschleichen, – beziehungsweise auf Samtreifen. Die auch schon mal quietschten, wenn es Reporter abzuschütteln galt.
DIE LAST DES
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