Man lebt nur zweimal
einfallen.
»Nach Köln. Ich will nach Köln fliegen, gute Frau«, sagte ich stattdessen mit lauter Stimme und Stütze. (Stütze ist eine besondere Atemtechnik, die große Schauspieler auf der Bühne anwenden.) »Wie oft soll ich ihnen das denn noch sagen?«
»Sie sind in Köln.«
»Oh!«
Mehr als ein jämmerliches »Oh« kam mir tatsächlich nicht über die Lippen. Mir, der Wortgewandtheit auf zwei Beinen. Der Schlagfertigkeit im Menschengewand. Sie sah mich an und lächelte wieder dieses Lufthansalächeln. Oder lag darin ein Hauch von Mitleid? Dachte sie vielleicht: Der arme Kerl. Macht hier einen auf Jet-Setter. Eigentlich ist er doch ganz süß und hätte das gar nicht nötig.
Zu allem Überfluss stieg mir jetzt auch noch das Blut in den Kopf. Durfte das wahr sein? Ich wurde rot. Auf einmal hatte ich das Gefühl, dass die Damen rechts und links ebenfalls zu mir starrten: Kommt mal alle her und schaut euch den kleinen Gunter Sachs für Arme an. Genau den, mit dem Kopf einer Blutorange. Der Bedauernswerte muss so viel fliegen, dass er schon gar nicht mehr weiß, in welcher Stadt er eigentlich ist. So bedeutend und wichtig ist er.
Ich biss mir auf die Lippen, um mich abzulenken. Gleichzeitig versuchte ich, sie anzulächeln. Es muss jämmerlich ausgesehen haben, denn der Mitleidsanteil in ihrem Lächeln stieg. Oder machte sie sich am Ende lustig?
Ich nahm meine Miles & More-Karte an mich, murmelte etwas von: »Entschuldigung« und »wahnsinnig unangenehm«, dann verschwand ich in der anonymen Masse des Kölner Flughafens.
Ich ging in die Lounge. Ich brauchte jetzt einen Drink. Die Bordkarte konnte ich mir auch später besorgen. Mein Flieger war weg.
Ich mixte mir einen Wodka Tonic, der selbst für meine Verhältnisse kräftig war, setzte mich in einen dieser Clubsessel und nahm einen tiefen Schluck. Während sich der Alkohol im Körper verteilte, wich das Blut langsam aus meinem Kopf. Jetzt fiel mir auch das verdammte japanische Sprichwort wieder ein: »Geduld ist die Kunst, nur langsam wütend zu werden.«
Ich nahm noch einen Schluck und fragte mich, welchem Umstand die Japaner eigentlich ihre führende Position unter den Wirtschaftsmächten verdanken. An der Weisheit ihrer Sprichwörter konnte es sicher nicht liegen.
Die meisten Menschen begegnen mir in der Tat sehr offen und herzlich. Manchmal habe ich dann das Gefühl, sie würden sich gern mit mir unterhalten. Hin und wieder finde ich es fast schade, dass sie es nicht tun. Ganz selten bedaure ich es regelrecht.
Ich kann diese völlig unvoreingenommenen, zufälligen Begegnungen mit Menschen nicht mehr haben, das stimmt. Aber eigentlich geht es ja mehr oder weniger jedem so. Wenn ich Chef einer Firma bin, und der Angestellte ist nett zu mir, dann ist das vermutlich auch nur der Tatsache geschuldet, dass ich sein Chef bin. Es ist ja bekannt, dass viele Polizisten oder andere Uniformträger ihre Uniform privat gar nicht so gerne ausziehen. Weil sie es genießen, dadurch aufmerksamer und respektvoller behandelt zu werden. Wer mag einen schon, weil man einfach nur ein anständiger Kerl ist. Irgendein Haken oder Kalkül steckt doch immer dahinter.
Und klar, einen Banküberfall oder Handtaschenraub vor den Augen einer Überwachungskamera, das sollte ich mit meinem Gesicht lieber bleiben lassen. Große Fahndungsanstrengungen: »Kennt jemand diesen Mann?«, könnten sich die Kriminalbeamten vermutlich sparen. Aber ich finde, dieser Nachteil lässt sich verkraften.
Meine Bekanntheit ist Teil meines Berufs. Ich fände es von einem Schauspieler richtiggehend bescheuert, wenn er sagte: »Ich hasse es, auf der Straße angesprochen zu werden.« Der Wiedererkennungswert ist ein Argument, warum ein Schauspieler überhaupt besetzt wird. Weil er dann im Zweifel sogar zum Motor wird für einen Film. Zum Aufhänger. Deshalb verdient ein bekannter Schauspieler mehr als ein unbekannter. An einem Theater mit gleich guten, aber bekannten und unbekannten Schauspielern in gleichgroßen Rollen wird der bekanntere immer mehr verdienen. Die Bekanntheit selbst hat einen Wert. Woher auch immer sie im konkreten Fall rührt. Siehe die vielen B-, C-, D- und E-Promis auf der Welt, die eigentlich nichts können, außer sich gut in Szene zu setzen.
Ganz deutlich sieht man das an der Werbung. Heute sind sehr viele Darsteller in Werbespots mehr oder weniger bekannte Schauspieler. Früher waren es viel mehr Models. Die Industrie verspricht sich mehr Wirkung, wenn ein bekannter Mensch in
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