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Man lebt nur zweimal

Man lebt nur zweimal

Titel: Man lebt nur zweimal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heiner Lauterbach
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gewisse Dinge brennen sich regelrecht ein.
    Viktoria blieb stehen und ließ die Scheiben ein winziges Stück herunter. Gerade so viel, dass die Regentropfen nicht ins Innere gelangen konnten. Sie trommelten immer noch ziemlich heftig auf das Wagendach.
    »Peter, was machst du denn hier?« fragte Viktoria. Punkt-Absatz lüftete seinen Hut ein wenig und erkannte uns nun auch.
    »Ich hab heute Elterndienst«, brüllte er gegen den Regen an.
    »Was hat er?«, fragte ich Viktoria, denn ich glaubte, ihn nicht richtig verstanden zu haben. Immerhin hatte er seine Sache bei uns trotz der Punkt-Absatz-Macke nicht schlecht gemacht. Es hätte mir leid getan, wenn er seinen gut dotierten Job verloren hätte. Nichts gegen Leute, die den Verkehr regeln. Aber seine ursprüngliche Aufgabe schien mir doch anspruchsvoller und irgendwie passender für ihn.
    »Er hat Elterndienst«, wiederholte meine Frau.
    »Das heißt, die Eltern werden hier zu Arbeiten herangezogen, wie Toiletten putzen und so?«
    »Klar, das gehört zum Montessori-Gedanken.«
    »Tschüss Peter«, rief ich Punkt-Absatz noch zu, betätigte den Fensterheber für die Fahrerseite und gab Viktoria zu verstehen, sich in Gang zu setzen.
    »Du kannst gleich um den Kreisverkehr rumfahren.«
    Ich deutete in die Richtung, aus der wir gekommen waren.
    »Dann fahren wir ja wieder zurück«, kombinierte meine schlaue Frau.
    »Eben«, sagte ich. Ich hatte keine Lust auf den Montessori-Gedanken.
    Man kann da natürlich verschiedener Meinung sein. Ich persönlich finde, dass es möglich sein muss, Kinder vernünftig zu erziehen, ohne ihre Eltern zu tyrannisieren. Und sie Sachen machen zu lassen, die nicht ihrer Bestimmung entsprechen. Warum sollte ein Mensch, der eine Firma mit über tausend Angestellten leitet, für deren Arbeitsplätze er verantwortlich ist, die Toiletten einer Schule putzen?
    Warum nicht, werden einige sagen. Wie gesagt, man kann da verschiedener Auffassung sein. Ich jedenfalls finde es bescheuert.
    Oscar ist auch ohne den Montessori-Gedanken ein ziemlich gut geratener Sohn geworden. Ich sage immer, der Oscar ist ein »ganz lieber Junge«, weil das einfach stimmt. Er ist lieb. Einfach ein guter Mensch, mit dem jeder gut klarkommt. Er ist geradeheraus, zuverlässig, anständig. Aber vermutlich sollten Eltern so etwas über ihren Sohn nicht sagen. Das ist ein bisschen so, als wenn früher die Mutter gesagt hätte: »Du siehst aber heute chic aus« oder »Deine Frisur ist toll.« Man selbst wusste dann: Okay – da stimmt was ganz und gar nicht, so darf ich auf keinen Fall aus dem Haus gehen und meinen Kumpels unter die Augen treten.
    Dabei meine ich mit »lieb« einfach, dass auf ihn Verlass ist, dass er keine krummen Dinger dreht, eben nicht bösartig ist. Andererseits ist es schon so, dass er auch ordentlich feiern kann – sonst würde ich mir auch ernste Gedanken machen.
    Früher habe ich ja sowieso die Meinung vertreten, dass alle Menschen gleich sind. Wenn ich eine Faustregel meines früheren Lebens als erstes durchstreichen sollte, dann ist es diese Aussage. Man sollte versuchen, alle Menschen gleich zu behandeln, das schon. Das heißt für mich, man sollte jedem die gleiche Chance einräumen, wenn man ihn das erste Mal trifft. Egal, ob es ein Vorstandsvorsitzender, der Bundeskanzler oder ein Bettler auf der Straße ist. Das ist natürlich ein hehrer Vorsatz, von dem ich weiß, ihm nicht immer zu entsprechen. Aber es wäre mein Ideal.
    Aber dass alle Menschen gleich sind, davon sind wir so weit entfernt wie Pluto von der Erde. Denn was hat ein Einstein mit irgendeinem Menschen zu tun, der da im Fernsehen bei Sendungen wie Vera am Mittag oder Oliver am Nachmittag rumpöbelt. Schon die Leute, die sich das anschauen, sind weit von Einstein weg. Oder würden Sie sagen, dass das gleiche Menschen sind – Einstein und die?
    Vor allem als ich durch Asien gereist bin und viel Zeit mit einem indischen Yogalehrer namens Krishna verbracht habe, war ich beseelt von der Aufbruchsstimmung der 1970er Jahre und dem Wunsch nach mehr Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit. Heute denke ich nicht mehr so. Menschen sind alles Mögliche, nur nicht gleich. Es gibt gewaltige Unterschiede zwischen ihnen. Mag es angeboren sein, also vererbt, schlechte Erziehung, schlechter Einfluss oder der fehlende Wille, an sich zu arbeiten, was ja letztlich auch angeboren ist. Ich glaube, am Ende läuft es immer auf dasselbe hinaus: auf den Zufall. Das Glück. Man muss einfach das Glück haben, im

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