Man lebt nur zweimal
Chef seine Boxer höchstpersönlich zu motivieren versuchte. Aber auch Jochi wurde nicht müde, ihren geliebten Gatten anzufeuern, oder ihn gegebenenfalls auch ein wenig zu bremsen.
Letzteres tat sie zum Beispiel gerne, wenn mir ausnahmsweise mal ein guter und langer Abschlag gelungen war. Wie am vierten Tee. Aus Angst, Wilfried könnte sich, provoziert von der Fluglänge meines Balles, übernehmen, versuchte sie besänftigend auf ihn einzuwirken, und es entspann sich in etwa folgender Dialog:
Jochi (während Wilfried zum Abschlag geht und seinen Ball aufteet): »Ganz ruhig, Liebling«.
Wilfried, der bis dahin die Ruhe selbst war, wurde erstmalig etwas unruhig: »Was heißt ganz ruhig? Ich bin ruhig. Warum sollte ich nicht ruhig sein?«
Jochi: »Du musst nicht so weit wie Heiner kommen. Ich kenn dich doch, Liebling.«
Wilfried versuchte sich nun auf seinen Schlag zu konzentrieren.
Jochi: »Immer, wenn der Heiner so einen weiten Abschlag hatte, versuchst du, noch weiter zu kommen.«
Weil Jochi ein höflicher Mensch ist, übersetzte sie diese Mutmaßung unnötigerweise auch noch ins Englische, um sie dem Südafrikaner ins Ohr zu flüstern.
Wilfried unterbrach seine Konzentrationsphase und blickte zu seiner Frau: »Schatzilein, das ist doch Quatsch.«
Jochi unterbrach nun ihr Gespräch mit dem Südafrikaner kurz: »Denk dran: Du bist keine zwanzig mehr.«
Wilfried: »Ich weiß, Schatzilein.« Wieder ging er in seine Ansprechposition und versuchte, sich auf seinen Schlag zu konzentrieren.
Jochi: »In deinem Alter ist man einfach nicht mehr so beweglich.«
Wilfried (mit gespielter Empörung): »Schatzilein, ich bin aber auch noch keine hundert.«
Er unterbrach sein Abschlagszeremoniell erneut. Die ganz große Lust und Freude, die seine Physiognomie noch am heutigen Morgen ausgezeichnet hatten, waren – so glaubte ich wenigstens zu erkennen – einer leichten Anspannung gewichen. Aber Wilfried war ein zäher Bursche und hart im Nehmen. Das hatte er sich wohl von seinen Boxern abgeschaut. Ein paar Verbalattacken jedenfalls konnten ihn nicht aus der Bahn werfen.
Ich sah zu dem Südafrikaner, der das kleine Geplänkel der Eheleute lächelnd verfolgt hatte, während er mit Ball, Tee und Driver in der Hand bereitstand, um seinem Ball die entscheidende Richtung in Nähe des vierten Greens zu geben. Eine Absicht, die uns ja alle an diesem wunderschönen Tag auf den Golfplatz gelockt hatte. Aber Golfspieler kennen das: Wenn Ehepaare gemeinsam an den Start gehen, kam es fast immer zu kleineren Reibereien, nicht selten ernsten Krisen und manchmal sogar handfesten Auseinandersetzungen. Ich weiß nicht, ob es Statistiken darüber gibt, wie viele Ehen auf dem Golfplatz geschieden worden sind. Es dürften Zigtausende sein. Aber was Jochi und Wilfried betrifft, hatte ich überhaupt keine Angst. Zu viele Runden habe ich mit ihnen schon in allergrößter Harmonie verbracht. Wenn es einen Friedens-Nobelpreis für golfspielende Ehepaare gäbe, er müsste jedes Jahr an die Sauerlands gehen.
Jochi: »Liebling, ich seh dir das an. Wenn du dich besonders konzentrieren willst, dann presst du deine Lippen so fest aufeinander.« Sie machte es ihm vor.
Wilfried: »Was?« Er runzelte die Stirn.
Jochi: »Ja so …« Sie machte es ihm wieder vor.
Wilfried versuchte nun nachzumachen, was Jochi ihm vormachte. Doch bei ihm sah diese Geste, die ja eigentlich seine sein sollte, ganz anders aus.
Wilfried: »Das kann ich gar nicht.«
Jochi: »Du machst es ja auch falsch. Wieder machte sie es ihm vor. »So … so machst du.« Und wieder.
»What are they talking about?« Wendete sich der Südafrikaner nun an mich. Ich erklärte es ihm kurz. Währenddessen konnte ich aus meinen Augenwinkeln beobachten, wie es Wilfried in einem unbeobachteten Moment gelang, wenigstens schon mal seinen Probeschlag hinter sich zu bringen. Das hatte wohl auch Jochi bemerkt und war mit dem Ergebnis offenkundig alles andere als zufrieden.
Jochi: »Du bist viel zu hektisch Liebling, ganz ruhig.«
Wilfried: »Ich bin ruhig …«
Das klang jetzt nicht wirklich ehrlich.
Jochi: »Man muss bei diesem Loch auch gar nicht den Driver nehmen. Holz drei genügt vollkommen.«
Wilfried: »Ich möchte aber ganz gerne mit meinem Driver spielen, Schatzilein.« Er versuchte, sich nun auf den Schlag, der zunehmend an Bedeutung gewann, zu konzentrieren.
Ich unterbrach meine Simultanübersetzung kurz, weil Wilfried nun ultimative Anstalten machte, seinen Schlag auszuführen.
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