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Man lebt nur zweimal

Man lebt nur zweimal

Titel: Man lebt nur zweimal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heiner Lauterbach
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den Text geworfen. Den sollte er nun wiedergeben, während er ein Tablett in ein Zimmer trug und ein Frühstück servierte. Der Sumo-Sohn kam mächtig ins Schwitzen und hatte seine liebe Müh, unser Geschirr nicht zu zerdeppern. Ich erkannte schnell, dass das Vorhaben schon an seiner Feinmotorik scheitern würde und beendete dieses Grauen ebenfalls vorzeitig. Ich verabschiedete den jungen Mann, dessen Lieblingstier offensichtlich das halbe Hähnchen war, und wünschte ihm noch viel Glück in seinem Leben. Wir mussten also wieder rauchen. Doch nun halfen langsam auch die Lungenzüge nichts mehr. Nicht nur, dass früher das Wetter schöner war – es schien heutzutage regelrecht hoffnungslos, brauchbaren Nachwuchs zu finden.
    Der nächste junge Herr war pünktlich. Das ließ uns schon mal aufhorchen. Er war der Typ Dustin Hoffman mit Pubertätspickeln, eher verschroben, was der Figur gutgetan hätte. So müsste er sich die Komik nicht vollends erspielen, sondern könnte von seinem skurrilen Äußeren profitieren.
    Der Kollege sah sich offensichtlich auch bereits in einer ähnlichen Liga wie Dustin Hoffman. Man ahnte beim Vorgespräch, dass er aus dieser kleinen Szene sein Gesellenstück machen wollte und nicht gehen würde, bis er die Rolle in der Tasche hätte. Blieb nur zu hoffen, dass er auch über Hoffmans Genialität verfügte.
    Nun gibt es verschiedene Mischungen von Schauspielern. Gute Kombinationen und weniger gute. Die perfekte Kombination dürfte Charisma und Talent sein. Unser Exemplar hier war eine Kombination aus Ehrgeiz, Selbstbewusstsein und Spielfreude. Sie können hier weder zwingend Negatives noch unbedingt Positives erkennen? Richtig. Entscheidend bei dieser Mischung ist die vierte und letzte Zutat. Das Können. Oder, bei einem jungen Menschen, das Talent. Ist das nämlich vorhanden, werden die anderen Eigenschaften zu den Triebfedern, die es an den Tag legen. Fehlt das Talent hingegen, verschlimmern diese Eigenschaften die Talentlosigkeit noch, denn sie heben sie stärker hervor.
    Ich hatte Vladi und Pasquale gebeten, etwas mit den jungen Leuten arbeiten zu dürfen. So konnte ich mir am schnellsten ein Bild von ihnen machen. Es ist in der Schauspielerei enorm wichtig, Dinge gut und schnell, wie wir es nennen, umsetzen zu können. Ein Schauspieler muss nicht immer gleich alles richtig machen, aber er sollte in der Lage sein, abzurufen, was der Regisseur von ihm fordert.
    Es gibt da diese kleine Anekdote, die sich angeblich an der Wiener Burg zugetragen haben soll.
    Ein Schauspieler, einer der nicht so begnadeten, steht an der Bühnenrampe und monologisiert recht hölzern. Der Regisseur ruft ihm von seinem Sitz im Zuschauerraum etwas zu, das er nicht richtig versteht. Schauspieler: »Was hab ich gut umgesetzt?«
    Regisseur: »Nein, Sie sind umbesetzt!«
    Aber so weit waren wir noch nicht. Ich hatte den jungen Mann also gebeten, mit dem Tablett reinzukommen, das Frühstück zu servieren und seinen kleinen Monolog zu halten.
    »Das Servieren erledigst du so ganz nebenbei, als wenn du es jeden Tag etliche Male machen würdest. Und den Text sprichst du so, als seien es die Worte, die dir gerade eingefallen sind.« Nach einer längeren Konzentrationsphase (sie schien mir grenzwertig angemessen – ich wollte jedenfalls schon wieder rauchen gehen) betrat er schließlich die Bühne. Dort blieb er erst mal stehen. Er machte weder Anstalten, den Tisch zu decken, noch seinen Text von sich zu geben. Vermutlich wollte er seiner Audienz genug Zeit lassen, sich von der Wirkung seiner Präsenz zu erholen. Als er gerade Luft holte, um etwas zu sagen unterbrach ich ihn.
    »Stopp«, sagte ich. Das gefiel ihm gar nicht. Er sah mich indigniert an.
    »Ich habe dich gebeten reinzukommen. Und was machst du?«, wollte ich wissen.
    »Ich bin doch reingekommen«, empörte er sich.
    »Nein, du bist aufgetreten.«
    »Wo ist denn da der Unterschied?«
    Ich hatte nicht vor, ihm das zu erklären.
    »Komm einfach noch mal rein. Und denk dran: Du bist Zivildienstleistender in einem Krankenhausbetrieb und nicht der Führer, der vor den Reichstag tritt. Du machst deine Sache routiniert, aber nicht leidenschaftlich. Die Bewegungen sind zügig, aber nicht gehetzt. Den Text dazu im selben Rhythmus: flüssig, aber nicht geschludert. Schnell, aber verständlich. Das Ganze muss trotz der Geschwindigkeit eine große Lässigkeit haben.«
    Er sah mich an, als hätte er alles begriffen. Mir war natürlich klar, dass er nach dieser Anhäufung von

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